Abheben in die Zukunft

Autonomes Fahren, Flugtaxis, Hyperloopes oder noch verrücktere «Düsentriebereien» – wie die künftige Mobilität tatsächlich aussehen wird, kann man nur erahnen. Doch einige der Innovationen und Technologien, die bereits im Testeinsatz sind, wollen wir der Leserschaft anhand einer mehrteiligen Serie präsentieren. Heute im Fokus: das Flugtaxi.

Mit einem Flugtaxi über den Dächern von Zürich schweben und die verstopften Hauptverkehrsadern der Stadt in Windeseile unter sich lassen? Was in einigen Ohren nach Zukunftsmusik klingen mag, könnte schon bald zur Realität werden.

Die Urbanisierung nimmt weltweit seit Jahren zu: Laut einem Bericht der UNO werden im Jahr 2050 bis zu zwei Drittel der Menschheit in Städten leben. Das stetig wachsende Mobilitätsbedürfnis der Bewohner und die begrenzten Platzverhältnisse in den Städten bringen dabei die existierenden Fortbewegungsmodelle an ihre Grenzen. Um Individuen auch in Zukunft höchstmögliche Lebensqualität zu bieten, muss die Mobilität der Zukunft daher neue Wege gehen.

Überflieger

Der Weg von Zürich-Altstetten zum Universitätsspital dauert heute mit dem Tram, Bus oder Zug bis zu 25 Minuten. Mit dem Auto dauert selbige Route, ohne Stau, 20 Minuten. Die Stadt Zürich jemals ohne Stau zu erleben, wird wohl auch in Zukunft den wenigsten Automobilisten vergönnt sein. Mit einem Flugtaxi könnte dieselbe Strecke hingegen dereinst in 5 Minuten zurückgelegt werden und das erst noch mit einer fantastischen Aussicht von hoch über den Dächern der Stadt.

Doch was ist überhaupt ein Flugtaxi? Während beim Gedanken an Flugtaxis bei vielen bis heute noch Bilder von Ufo-ähnlichen Flugobjekten in den Köpfen umherschwirren, sind bereits diverse konkrete Projekte am Laufen. Was all die verschiedenen Ansätze vereint, ist die Vision, den urbanen Luftraum optimal für den Individualverkehr zu nutzen. Dadurch soll der städtische Verkehr um die dritte Dimension erweitert und dadurch gleichzeitig entlastet werden.

So baut die deutsche Lilium GmbH an einem elektrischen Senkrechtstarter  mit Tragflächen, während Airbus eine elektrobetriebene, Drohnen-ähnliche Maschine mit acht Rotoren und vier Plätzen auf den Markt bringen möchte. Die in den USA gegründete Firma Terrafugia plant ihrerseits demnächst ein Flugauto für zwei Personen einzuführen. Die Liste mit Unternehmen, welche sich die Entwicklung eines Flugtaxis auf die Fahne geschrieben haben, könnte noch lange so weitergeführt werden.

Zukunftsvisionen

Haben Sie diese kühnen Zukunftsträume neugierig gemacht? Dann schauen wir uns doch mal ein Vorhaben etwas näher an und konzentrieren uns auf dessen Herausforderungen und Chancen:

Das deutsche Unternehmen Volocopter, selbsternannter Pionier der Mobilität im urbanen Luftraum, tüftelt bereits seit Jahren an einem Flugtaxi. Der sogenannte Volocity, ein autonomer und emissionsfreier Zweisitzer mit 18 Rotoren, sieht auf den ersten Blick aus wie eine Kreuzung zwischen einer Fliege und einer Libelle. Die Rotoren des Senkrechtstarters werden von einem Elektromotor betrieben, der seine Energie wiederum aus einem Akku bezieht. Ein vollgeladener Akku ermöglicht dem Volocity, eine Flugdistanz von 35 Kilometern zurückzulegen oder eine halbe Stunde ohne Unterbruch in der Luft bleiben zu können. Dabei kann eine Maximalgeschwindigkeit von bis zu 110 Stundenkilometer erreicht werden.

Als weltweit erster Multicopter mit Zulassung für bemannte Flüge ist der Volocity absoluter Vorreiter, pardon, Vorflieger in seinem Bereich. Im Jahr 2017 wurde damit in Dubai der erste autonome Lufttaxi-Betrieb in der Geschichte der Luftfahrt getestet. Im Oktober 2019 konnte in Singapur der erste bemannte Flug inmitten einer Innenstadt erfolgreich durchgeführt werden. Dass dafür genau diese Stadt ausgesucht wurde, erstaunt dabei wenig. So wird Singapur nicht selten gar als Innovations-Zentrum betitelt. Seither geben Fachkräfte dem Flugobjekt den letzten Feinschliff, um mit ihrem Flugtaxi schon bald die Lufträume über weiteren Grossstädten der Welt zu erobern. In den nächsten Jahren soll in Dubai und Singapur die dafür benötigte Infrastruktur weiter ausgebaut und der Volocity in zwei bis drei Jahren als ergänzendes Personen-Beförderungsmittel in den Regelbetrieb überführt werden.

Soweit so gut – in der Theorie mag diese Vision ja durchaus vielversprechend klingen: Wo aber soll in den ohnehin bereits überfüllten Städten, die bereits jetzt aus allen Nähten platzen, zusätzlich eine Infrastruktur für Flugtaxis hineingequetscht werden? Auch diesbezüglich hat Volocopter bereits eine sehr konkrete Vorstellung: Zentrale Terminals, sogenannte Volohubs, Gebäude ähnlich wie Seilbahnstationen, sollen künftig in den Städten entstehen. Diese sollen mit Plattformen gekoppelt sein, auf denen Volocities landen und starten können. Für die Platzierung solcher Terminals eignen sich Hochhausdächer in besonderem Masse. Diese sind in den Grossstädten dieser Welt ohnehin in der Regel in genügender Zahl vorhanden. Somit würde zumindest das akute Platzproblem in vielen Städten nicht weiter verschärft. Die Frage dabei ist nur, ob die Dächer auch tatsächlich ausreichend Platz und Stabilität bieten, um solch riesige Volohubs unterzubringen. Auf der Plattform gelandet, gleiten die Multicopter via Förderband direkt in die Terminals. Passagiere können im Innern vor Wind und Wetter geschützt ein- und aussteigen, während Roboter entladene Akkus blitzschnell austauschen, um einen nahtlosen Weiterflug zu gewährleisten. Die Volohubs dienen den Volocities zusätzlich als Heimat und beherbergen diese über Nacht. Neben diesen multifunktionalen Hubs soll es auch einfache Plattformen geben, die mit bisherigen Hubschrauberplattformen vergleichbar sind. Experten gehen davon aus, dass dereinst pro Tag bis zu 100’000 Passagiere mit Volocities in einer Stadt befördert werden könnten. Als Vergleich: Die VBZ befördern aktuell pro Werktag rund 1 Million Personen.

Schon bald soll der Probebetrieb von Flugtaxis in Grossstädten wie Dubai, Los Angeles, Dallas oder Singapur starten. Experten schätzen, dass der kommerzielle Betrieb mit autonomen Flugobjekten bei erfolgreich abgeschlossener Testphase im Jahr 2025 aufgenommen werden könnte. Ein Flug mit dem Taxi der Lüfte soll dereinst gleich teuer wie eine Taxifahrt auf den Strassen sein. Man stelle sich dies einmal bildlich vor – autonome Drohnen, die besetzt mit Passagieren, von einer Zentrale am Boden gesteuert über die Grossstädte der Welt schweben. Eine aus jetziger Perspektive wahrlich futuristisch anmutende Vorstellung.

Zu klärende Rahmenbedingungen

Bevor die ersten Passagiere eines Tages abheben, wären jedoch noch einige Rahmenbedingungen zu klären. Als erstes müssen die gesetzlichen Grundlagen für einen Flugtaxi-Betrieb geschaffen werden. Solche bestehen aktuell noch kaum. Ebenfalls ungelöst ist die Sicherheitsfrage: Wie sicher sind autonom fliegende Flugtaxis in Zeiten von Terrorismus und Cyberkriminalität? Man stelle sich das Chaos vor, das nach einem erfolgreichen Hackerangriff auf das Betriebssystem der Flugtaxis ausbrechen könnte und die daraus resultierende Gefahr für die Bevölkerung. Und wie steht es eigentlich um die Lärmbelastung? Sind Flugtaxis tatsächlich so leise wie von Marketingexperten versprochen, oder müssen Stadt-Bewohner künftig mit Ohrstöpsel Vorlieb nehmen, um in ihrem Garten in Ruhe Zeitung lesen zu können? Hinzu kommt der Umweltaspekt: Zwar vermarkten Firmen ihre Flugtaxis aufgrund der eingebauten Elektrobatterien mit dem Argument der Umweltfreundlichkeit. Doch wie umweltfreundlich sind Flugtaxis tatsächlich, wenn man bedenkt, was für eine Unmenge an Energie benötigt wird, bis ein Flugobjekt tatsächlich abheben kann? All das sind Fragen, mit denen sich die Politik in Zukunft zwangsläufig beschäftigen muss.

Flugtaxis – Ein Massentransportmittel?

Sind die blau-weissen VBZ-Trams und Busse in Zukunft also vom Aussterben bedroht? Ist zu befürchten, dass man von der Zürcher Innenstadt aus vor lauter Flugobjekten am Himmel nur noch selten einen Sonnenstrahl abbekommt? Vermutlich kaum. Flugtaxis scheinen zwar tatsächlich Zukunftsambitionen zu haben, doch ob sie auch tatsächlich das Potential für ein Massentransportmittel besitzen, ist eher unwahrscheinlich. Vielmehr ist anzunehmen, dass sie das bisherige Mobilitätsnetz ergänzen. Die blau-weissen Fahrzeuge werden somit wohl auch weiterhin auf dem Boden bleiben.

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