«Bauen unter Betrieb ist wie eine Operation am offenen Herz»

Grossbaustellen – wie die aktuelle am Manesseplatz – haben massgebliche Auswirkungen auf den Verkehr und die Zuverlässigkeit des ÖV. Wie werden Baustellen geplant, damit sich die Betriebsstörungen in Grenzen halten und wer ist dabei involviert? René Frieden* ist bei der Abteilung «Planbare Betriebsänderungen» für alle Baustellen links der Limmat zuständig und verantwortlich für einen möglichst reibungslosen Tram- und Busbetrieb und für die Sicherheit und Information der Fahrgäste vor Ort. Wir haben ihn gefragt.

Der Manesseplatz ist verkehrstechnisch ein Hotspot mit vier Zufahrtsstrassen, starkem Individualverkehr, einer Veloroute und zwei Buslinien. Verschafft Ihnen die Baustelle am Manesseplatz schlaflose Nächte?

Nein. Es gibt keine Baustelle, die ich betreue, die mir schlaflose Nächte bereitet. Klar, man macht sich viele Gedanken, bereitet sich vor, denkt auch nachts einmal ein Szenario durch, aber ich bin nicht schlaflos. Sonst wäre ich nicht bereits seit 20 Jahren in diesem Bereich tätig.

Das hat sicher mit einer guten Vorbereitung und mit deiner grossen Erfahrung zu tun. Wie lange dauert die Vorbereitungszeit einer Baustelle wie derjenigen am Manesseplatz?

Das ist je nach Baustelle sehr unterschiedlich. Das Projekt am Manesseplatz ist sehr komplex und hat Abhängigkeiten zu anderen laufenden Projekten rundherum. Der grosse Kanal des Kolbenhofbachs muss erneuert werden. Und dieser Kanal betrifft wiederum verschiedene Projekte. Man kann nicht alles auf einmal machen. Das Projekt am Manesseplatz ist ein Kanal- und Strassenbau. 2014 haben wir begonnen, eine Machbarkeitsstudie für die Verkehrsführung zu erstellen. Weil der Manesseplatz verkehrlich ein Hotspot ist, musste die Baustelle gut vorbereitet werden, was die Verkehrsführung während der Bauzeit anbelangt. Das Resultat daraus war ein Verkehrsregime, das gezeigt hat, wo und wann man bauen kann. Dann gab es verschiedene Einsprachen und man musste aus terminlichen Gründen einzelne Projekte neu aufteilen. Alle Projekte mussten aber weiterhin aufeinander abgestimmt sein. Mit dieser Studie konnten die VBZ in Zusammenarbeit mit der Dienstabteilung Verkehr (DAV) aufzeigen, was machbar ist.

Das heisst, die Baustelle am Manesseplatz hatte sechs Jahre Vorlaufzeit?

Ja.

Und wie lange geht das Planen der konkreten Bauzeit?

Das dauerte circa zwei Jahre. Man fokussierte sich und erstellte einen klaren Zeitplan. Das erste Projekt ist jetzt im Bau, Manesseplatz und Manessestrasse bis Zurlindenstrasse. Erst danach kommt die Uetlibergstrasse dran und nach der Uetlibergstrasse die Manessestrasse Richtung Bederstrasse. Es war bei diesen Projekten sehr wichtig, die richtige Etappierung zu finden und sie zeitlich aufeinander abzustimmen, etappenweise vorzugehen.

Welche Ämter der Stadt arbeiten hier zusammen?

Unter der Leitung des Tiefbauamts arbeiten fast alle Ämter der Stadt Zürich zusammen! TAZ, DAV, ERZ, WVZ, energie360 und einige mehr…. Damit es funktioniert, müssen wirklich alle dabei sein. Auch in allen nachfolgenden Projekten sind alle involviert.

Wie muss man sich diese Organisation vorstellen? Das scheint ja hochkomplex zu sein.

Die Oberbauleitung liegt beim Tiefbauamt. Pro Teilprojekt liegt die Projektleitung beim Tiefbauamt aber nicht immer bei der gleichen Person. Bei diesem Projekt sind verschiedene Ingenieurbüros involviert, die jetzt schon dran sind, die weiteren Teilprojekte vorzubereiten. Für jedes Teilprojekt ist ein anderes Ingenieurbüro für die Bauleitung engagiert. Alle müssen eng zusammenarbeiten.

Wer ist denn für Sie als Projektleiter bei den VBZ der Hauptansprechpartner?

Das Ingenieurbüro, es hat die Bauleitung. Alle 14 Tage finden ordentliche Bausitzungen statt, wöchentlich gibt es eine Jourfix-Sitzung im kleinen Rahmen, und sehr vieles wird bilateral besprochen, wenn zum Beispiel etwas nicht so funktioniert, wie es sollte oder es Verschiebungen gibt. Der Kontakt zu den Ingenieurbüros ist sehr eng und da bestehen auch schon langjährige Beziehungen.

Sie haben bereits langjährige Erfahrung in der betrieblichen Planung und Umsetzung der Baustellen von VBZ-Seite, beziehungsweise vom «Bauen unter Betrieb». Was ist aus Ihrer Sicht das Geheimrezept, dass eine solch komplexe Baustelle funktioniert?

Bauen unter Betrieb ist wie eine Operation am offenen Herz. Es gibt kein Geheimrezept, aber Kommunikation ist sehr wichtig. Man muss präsent sein, mit den Bauunternehmungen muss die Kommunikation vor Ort funktionieren. Die Bauunternehmungen und Ingenieurbüros, die schon lange mit der Stadt zusammenarbeiten, kennen unsere Anforderungen sehr gut. Wir haben einen sehr guten, langjährigen Kontakt, sie wissen, auf was wir Wert legen. Wenn es ein Problem gibt, rufen sie an und wir finden immer schnell Lösungen. Pläne sind das eine, die Realität auf der Baustelle ist eine andere. Darum ist es wichtig, alles vor Ort anzuschauen und flexibel reagieren zu können. Es ist ein Geben und ein Nehmen. Wir von der VBZ sind insbesondere erpicht darauf, störungsfrei fahren zu können. Aber man muss auch bauen können. Die oberste Priorität ist die Sicherheit. Es muss für alle stimmen: für den Individualverkehr, für die Arbeiter, für den Langsamverkehr, für die Anwohner.

René Frieden, Projektplaner in der Abteilung «Planbare Betriebsänderungen» der VBZ, sorgt auf den Baustellen links der Limmat für einen möglichst reibungslosen Tram- und Busbetrieb und für die Sicherheit und Information der Fahrgäste vor Ort.

Beim Manesseplatz verkehrt die Linie 72, die sehr stark frequentiert ist. Der Manesseplatz ist auch eine stark frequentierte Umsteigehaltestelle. Wie kann man sicherstellen, dass es trotz einer solch umfangreichen Baustelle funktioniert für die Fahrgäste und dass die Fahrzeuge pünktlich fahren können?

Wir schauen das in der operativen Projektsteuerungssitzung, wo die Abteilungen Betriebssteuerung, Angebot und Fahrplangestaltung zweiwöchentlich zusammenkommen, an. Früher mussten grössere Anpassungen im Verkehrsnetz immer in der GL besprochen werden, was das Ganze sehr unflexibel machte. Heute sind in dieser zweiwöchentlichen Sitzung alle Leute dabei, die am Puls sind, was schnelle Entscheide ermöglicht. Beim Manesseplatz mussten wir aufgrund der Bau- und Zeitpläne einen zusätzlichen Kurs einplanen auf der Linie 72. Innerhalb der Baustelle kann es baubedingt zu Verspätungen kommen, das rechnet man ein. Dank dem zusätzlichen Kurs hat der Fahrplan nun aber genug Puffer, so dass die Trolleybusse wieder pünktlich ab den Endhaltestellen loszufahren können, in beide Richtungen. Es ist unser Ziel, dass die Fahrgäste so wenig wie möglich merken von der Baustelle und wir so nahe wie möglich am ursprünglichen Fahrplan bleiben.

Wichtig bei Baustellen ist auch die Kommunikation nach aussen. Wie werden die Fahrgäste über eine Baustelle informiert?

Personen, die nicht am Manesseplatz um- oder aussteigen, werden nicht informiert. Diese betrifft es hoffentlich nicht, sie sollen so wenig wie möglich merken von der Baustelle. Die Fahrgäste, die sich im Bauperimeter bewegen, werden mit Anwohnerrundschreiben, via Projekt-Webseiten und Infotafeln seitens Tiefbauamt oder an den Haltestellen von uns informiert. Sie sind die Leidtragenden. Sie haben eine Baustelle vor dem Haus, zum Teil gibt es auch Nachtarbeiten. Auch werden die Fahrgäste vor Ort über Haltestellenverschiebungen informiert.

Spürt Ihre Abteilung Verständnis von den Anwohnern?

Wenn jemand die ganze Nacht nicht schlafen kann, dann ist es verständlich, dass sie oder er weniger Verständnis hat, als jemand, der nur vorbeifährt. Aber wir versuchen unser Möglichstes und suchen das Gespräch, auch in enger Zusammenarbeit mit dem Tiefbauamt. Die Anwohner werden frühzeitig informiert, aber vereinzelt gibt es trotzdem negative Reaktionen. Die Baustellenzeit wird so kurz wie möglich gehalten. Bei Grossbaustellen wie am Manesseplatz wird versucht, mit Wochenend- und Nachtarbeit die Baustellenzeit zu verkürzen. So haben wir leider Störungen an Wochenenden und in einzelnen Nächten, dafür ist die Baustelle dann schneller wieder vorbei. Auch können gewisse Arbeiten wie zum Beispiel Belagsarbeiten nur in verkehrsarmen Zeiten durchgeführt werden. Das ist für den VBZ-Fahrplan wie für die Dienstabteilung Verkehr sehr wichtig. Man sperrt dann Strassen, hat so weniger Verkehr und auch keinen Schwerverkehr. Mit der Verkürzung der Bauzeit können wir es den Anwohnern ein bisschen schmackhaft machen.

Gibt es Unterschiede zwischen Baustellen, die an einer Buslinie oder an einer Tramlinie liegen?

Einen Bus kann man durch eine Quartierstrasse umleiten, ein Tram nicht. Das Tram kann einfach nicht mehr fahren, wenn wir eine Gleisbaustelle haben. Dann haben wir meistens Busersatz, der auch durch die Quartierstrassen geführt wird. Dafür muss man den Anwohnern in dieser Zeit viele Parkplätze wegnehmen. Es ist immer ein Abwägen. Für die DAV wie auch für die VBZ ist es wichtig, dass die Fahrgäste beim ÖV bleiben, und nicht aufs Auto umsteigen. Was aber auch bedeutet, dass wir mehr Platz schaffen müssen für den Busersatz mit dem Sperren von Parkplätzen. In der heutigen Zeit, wo viele Quartierstrassen zu 20er-Zonen gemacht und baulich verengt worden sind, werden auch unsere Umleitungsmöglichkeiten zunehmend eingeschränkt. Die Akzeptanz dafür ist mehrheitlich da, aber auch da gibt es vereinzelt negative Reaktionen.

Was können die Fahrgäste vom neuen Manesseplatz erwarten?

Die Haltestellen werden behindertengerecht mit hohen Haltekanten und ebenerdigem Einstieg. Ab dem Fahrplanwechsel im Dezember 2020 hat die Linie 72 eine neue Linienführung, was die Linie noch zuverlässiger macht. Der Manesseplatz wird ein neuer Platz sein mit besserer Verkehrsführung, Velowegen und mehr Grünflächen. Jeder Platz, den man umbaut und jede Strasse, wo etwas Neues entsteht, freut mich. Es gibt oft Einwände im Vorfeld, aber wenn man das fertige Produkt anschaut, ist es fast immer etwas Schönes und Nützliches.

Ist es das, was Sie auch immer noch motiviert, nach so langer Zeit weiterhin in solch komplexen Bauvorhaben den VBZ-Betrieb zu vertreten?

Ich arbeite sehr gerne draussen, es ist immer wieder eine neue Herausforderung. Es ist kein «normaler» Alltag, man hat immer wieder andere Ansprechpartner, andere Baufirmen, andere Gegebenheiten. Die Stadt entwickelt sich, es kommt immer wieder etwas Neues, an das man sich anpassen muss. Diese Abwechslung finde ich extrem spannend. Ich mache es jetzt noch zwei Jahre, dann werde ich pensioniert. Über all diese Jahre stand ich noch nie an einem Morgen auf, wo ich mir sagen musste: «mir stinkts». Es macht mir immer noch sehr viel Spass.

Zur Person

Die Abteilung Planbare Betriebsänderungen betreut pro Jahr rund 700 Baustellen und 400 Veranstaltungen, Tendenz steigend. René Frieden leitet als Projektleiter die betriebliche Planung und Umsetzung der Baustellen links der Limmat. Dies reicht von komplexen mehrwöchigen Gleisbaustellen bis zu kleinen Tagesbaustellen wie dem Beschneiden eines Baumes im Bereich der Fahrleitung. Bei Grossbaustellen beginnt die Planung circa vier Jahre vor Baubeginn. Betriebskonzepte und Umleitungsrouten ausarbeiten, Einsatzpläne der Platzdienste erstellen sowie Fahrgastinformationen aufgleisen sind nur ein kleiner Teil der vielfältigen Aufgaben. Die Herausforderung dabei ist es, die bestmögliche Lösung für alle Beteiligten zu finden. Umfassende Kenntnisse des VBZ-Netzes hat er sich als Tram- und Busführer, Kontrolleur, Aufsichtsbeamter und Disponent der Leitstelle erworben. An seinem Job gefällt ihm, dass er etwas bewegen kann, der Kontakt zu den Bauunternehmungen und das Arbeiten draussen am Puls des Geschehens.

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