Der Witiker Bus-Krimi

Am Fahrplanwechsel vom 10. Dezember wird die Linie 31 nach Witikon verlängert. Die Neuerung ist auch die Geschichte einer Rückeroberung: Jene der direkten Verbindung in die Stadt, wie sie einst die Postkutsche fuhr. Wir sprachen mit dem Quartiervereinspräsidenten Balz Bürgisser über den Witiker Bus-Krimi.

Einst liessen sich die Witiker von ihrem Dorf direkt in die Stadt kutschieren. In den Zwanzigerjahren nämlich ruckelte eine  Postkutsche über Maur direkt bis zum Fraumünster. Als der heutige Quartiervereinspräsident Balz Bürgisser, gebürtiger Erlenbacher, anno 1979 in den Heimatort seiner Frau zog, war jene Kutsche freilich längst Geschichte.

Die Einführung einer städtischen Buslinie im Jahre 1931 war ein Geschenk der Zürcher an die Witiker, wenn auch nicht unbedingt ein selbstloses: Der Verdacht sei erlaubt, dass bei diesem ÖV-Update der Hintergedanke mitschwang, sich das Stimmvolk gewogen zu machen. Am 1. Januar 1934 stand nämlich die Eingemeindung Witikons in die Stadt bevor.

Eine umsteigefreie Verbindung in die Stadt wird gefordert

So kamen die Pferde in Pension, und fortan mühten sich Dieselbusse hinauf nach Witikon. Die gefahrene Strecke wuchs mit der Einwohnerzahl. Das einstige 800-Seelendorf zählt heute nämlich 10’700 Einwohner. Entsprechend verschob sich auch die damalige Endstation Berghalde weiter nach Looren und schliesslich nach Kienastenwies. Die Krux: Seit Einführung der Buslinie mussten alle Witikerinnen und Witiker am Klusplatz umständlich umsteigen, um in die Innenstadt zu gelangen. Das gestaltete sich vor allem für jene schwierig, die nicht gut zu Fuss oder mit Gepäck und Kinderwagen beladen waren.  Bei aller Dankbarkeit für den Fortschritt: Die Annehmlichkeit, wie zu Kutschenzeiten ohne Umsteigen in die Stadt zu gelangen, blieb in sehnsuchtsvoller Erinnerung der Einwohner. Auch die Einführung von Trolleybussen anno 1946, welche den in ihren Autobussen dicht an dicht gedrängten Witikern mehr Raum verschaffen sollten, vermochte daran nichts zu ändern. Und so schrieb sich der Quartierverein im Jahre 1981 die Forderung nach einer durchgehenden Verbindung auf die Fahne beziehungsweise ins Leitbild.

Im Tram per Lift nach Witikon

Dem erklärten Ziel folgten bald Taten. Die Witiker krempelten die Ärmel hoch und legten dem Gemeinderat bald gewagte, aber durchdachte Konzepte vor. Nebst der durchgehenden Busverbindung stand auch ein Tram zur Debatte: Man prüfte, ab Realp unterirdisch zu fahren, die anschliessend starke Ansteigung sollte mit einem Lift überwunden werden. Diskutiert wurde ebenfalls eine oberirdische Variante. Dazu hätte man eine Brücke über das Waldstück in der «Schlyfi» bauen müssen. Diese Idee liess man indes fallen, «zu Recht» sagt Bürgisser, «aus Naturschutzgründen. Ich bin nämlich ein Grüner, wissen Sie». Die Witiker Politikerinnen und Politiker wurden aktiv, und so flatterten dem Gemeinderat alsbald Postulate und Motionen ins Haus – der Tatendrang war gross.

Längsprofil der von Ing. Stephan Schubiger vorgeschlagenen neuen Tramstrecke.

Neun Jahre verstrichen, als der Stadtrat den Witikern 1990 beschied, es sei eine Lösung gefunden worden: Der Takt der Busse sollte verdichtet werden. Das war freilich nicht, wonach man verlangt hatte – auch die Enttäuschung in Witikon verdichtete sich. Erst 2007 wich die Resignation erneuter Entschlossenheit. Wieder wurde im Gemeinderat eine Motion eingereicht, und im Juni 2008 an den Stadtrat überwiesen. Dies war die Zeit, in der Balz Bürgisser zum Quartiervereinspräsident avancierte, eine Position, die er nebenamtlich erfüllt. Die umweltverträgliche und nachhaltige Mobilität ist ihm wichtig: «Die zukunftsfähigen Fortbewegungsarten in der Stadt sind: Zu Fuss gehen, Velo fahren oder einen gut augebauten ÖV benützen. Das ist meine Überzeugung». Bürgisser zog einen Verkehrsexperten hinzu. Dabei zeigte sich, dass Witikon den schlechtesten Modalsplit in ganz Zürich hat. Will heissen, in der Summe aller Verkehrsmittel den niedrigsten Anteil an ÖV. Von den 34 Quartieren in Zürich, so stellte er fest, haben alle anderen 33 eine direkte Verbindung ins Stadtzentrum – einzig und allein Witikon nicht.

Balz Bürgisser, Quartiervereinspräsident von Witikon, hat sich seit seinem Amtsantritt für eine durchgehende Verbindung in die Innenstadt stark gemacht. (Bild: Natascha Klinger)

Der laufenden Motion schickte der Quartierverein 2008 eine Petition hinterher. 2’593 Unterschriften seien zusammengekommen. Die Zahl entspringt dem Gedächtnis des hauptberuflichen Mathematiklehrers Bürgisser so mühelos wie alle übrigen Daten. Man habe zeigen wollen, dass die Forderung dem Volkswillen entspreche, und nicht nur dem einiger Umweltfanatiker. Trotz dieser Beweislage wurde das Engagement erneut mit einem Korb quittiert. Im Juni 2010 kam vom Stadtrat der Bescheid, es habe genügend Busse in Witikon, punktum, eine direkte Verbindung in die Innenstadt lohne sich gemäss einer Studie nicht.

Dicke Post: Die Unterschriften-Blätter der Petition des Quartiervereins. (Bild: Balz Bürgisser)

Friedliche Demonstration vor dem Rathaus

So leicht liess sich das beharrliche Völkchen oben am Hügel nicht abspeisen. «Wir waren Revoluzzer», schmunzelt Bürgisser munter. Man habe kurzerhand ein eigenes Planungsbüro beauftragt. Dieses widerlegte die städtische Studie. Statt der behaupteten Kosten von 20 Millionen für die Busverlängerung, ergaben sich nurmehr deren acht. «Da war Feuer unterm Dach». Namentlich unter jenem des Gemeinderats, an dessen Abstimmungstag im Juli 2011 der Quartierverein erneut auf den Plan trat: Rund 80 Witikerinnen und Witiker versammelten sich in roten T-Shirts vor dem Zürcher Rathaus, um für ihre Buslinie zu demonstrieren.

«Danach sassen wir auf der Tribüne im Rathaus und verfolgten die Sitzung des Gemeinderats. Als letztes Traktandum, nachts um 23.30 Uhr, als alle nach Hause wollten, wurde die Verlängerung der Witiker Buslinie behandelt», erinnert sich Bürgisser amüsiert. Der Kantonsrat solle aktiv werden, lautete der Entscheid des Gemeinderats: eine Behördeninitiative wurde beim Kanton eingereicht.

Ein halbes Jahr später – bei klirrender Kälte – demonstrierten die Witiker nochmals vor dem Rathaus. Dennoch fehlten bei der Abstimmung im Kantonsrat sieben Stimmen zum ÖV-Glück. Der Quartierverein erkannte, dass das Anliegen auf politischen Weg nicht durchzubringen sei. «Ich bin ein hartnäckiger Mensch», lacht Bürgisser. Nun folgte eine Eingabe an die Regionale Verkehrskonferenz Zürich. Ganz siegessicher war man sich nicht: In besagter Verkehrskonferenz sind die VBZ Marktführerin, und diese hatte ja ehedem den Standpunkt vertreten, es brauche diese durchgehende Verbindung von Witikon ins Stadtzentrum nicht.

Im Frühling 2013 dann die Kehrtwende: Zur grossen Überraschung Bürgissers meldete sich die VBZ und anerbot, die gewünschte Verbindung in einem partizipativen Prozess mit den Witikern zu erarbeiten. Tatsächlich sei das Quartier ungenügend in den ÖV eingebunden. «Hör ich denn richtig?», erinnert sich Bürgisser an seine damalige Reaktion. Bereits im Dezember des selben Jahres wurde ein Kompromiss gefunden, eine gute, bezahlbare Lösung – jene, die jetzt am 10. Dezember umgesetzt wird. Damit findet der Bus-Krimi nach 36 Jahren Hartnäckigkeit des Quartiers ein frohes Ende.

Das Freudenfest am 10. Dezember

Die lang ersehnte, umsteigefreie Verbindung ist da, und Witikon feiert. Nach der allerersten Busfahrt morgens um 5 Uhr steigt ein Fest, zu dem die Öffentlichkeit herzlich eingeladen ist. Geboten wird ab 11.00 Uhr ein Programm für Gross und Klein. Dazu gehören nebst Steelband-Klängen, Kinderschminken sowie Esel- und Ponyreiten natürlich auch eine Fahrt in der legendären Witiker Postkutsche, eine Ausstellung zum Thema «Witikon und der ÖV» und – last but not least – die Taufe eines mit dem Witiker Wappen versehenen Doppelgelenk-Trolleybusses.Mehr Informationen zum Fest gibt es hier.Sämtliche Angebotsänderungen am Fahrplanwechsel finden Sie hier.

 

 

 

 

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