Die schwebenden Staubsauger der VBZ

Die Heinzelmänner der VBZ kommen in Lastwagen. Und zwar nicht in irgendwelchen herkömmlichen, sondern in schwebenden Lastwagen mit grossen Staubsaugern hinten drauf. Mit diesen Fahrzeugen sorgen die Mitarbeitenden der Abteilung Gleisinstandhaltung dafür, dass das Netz der VBZ stets sauber bleibt und die Schienen befahrbar sind. Burim Zulfiji ist einer von ihnen.

Es ist ein sonderbares Fahrzeug, das sich da von der dunklen Bahnhofstrasse her auf den Paradeplatz zubewegt. Je näher es kommt, desto lauter zischt und dröhnt es auf dem zuvor so friedlich ruhigen Platz. Getaucht in orange pulsierendes Licht, schwebt dieser fast drei Meter hohe Koloss auf die nächtliche Bühne zwischen den Schweizer Grossbanken. Hinter sich her zieht er einen metallenen Anhänger, der kratzende Geräusche von sich gibt. Hätte sich in dieser schwülen Sommernacht jemand auf einer der Sitzbänke des Paradeplatzes befunden und das Spektakel beobachtet, er hätte wohl kaum erraten, dass da gerade Tramschienen von ihrer Schmutzschicht befreit werden.

Jeder Meter Schiene im Netz der VBZ wird einmal in der Woche geputzt und geschliffen – mit Wasser, Staubsauger und Schleifpapier. Was nach mühsamer Handarbeit klingt, wird bei den Verkehrsbetrieben Zürich maschinell mit speziellen Lastern gemacht, die sich täglich über die 15 verschiedenen Tramlinien saugend vorwärtsbewegen. Für diejenigen, die sich auch schon einmal gefragt haben, was das für komische orange Ungetüme sind, die da anstelle eines Trams herangelärmt kommen: Es sind die Staubsauger der VBZ. Burim Zulfiji ist einer der Männer, die in den Führerkabinen dieser Saug-Laster sitzen.

Die Reinigung der Gleise ist für den Betrieb der Verkehrsbetriebe essenziell. Die Rillen in den Schienen sind schnell verstopft, mit dem Sand, den die Trampiloten beim Anfahren oder Bremsen vor die Räder sprühen (um mehr Grip zu erhalten), mit Abfall oder mit Blättern und kleinen Ästen. Auf dem Schienenkopf bildet sich ein Film aus Dreck und Fett, der abgeschliffen werden muss, damit die Stahlräder der Trams auf den Gleisen besseren Halt finden. Für Burim steht fest: «Wenn es uns nicht gäbe, würde der Trambetrieb im Chaos versinken. Die Trampiloten verlassen sich auf uns.»

Wir dürfen heute Burim Zulfiji bei seiner Arbeit begleiten.

Joystick statt Lenkrad

Damit die Saugschläuche des Lasters genau über den Rillen der Gleise bleiben, setzen Burim und seine Kollegen ihre Fahrzeuge kurzerhand in die Schienen. Dies erfolgt mit einem Prozess, den sie «Eingleisen» nennen. Der Putzlastwagen muss dafür genau über den Schienen platziert werden. Dann lässt der Fahrer ein zweites Fahrwerk mit Stahlrädern herabsinken. Dieses fügt sich in die Schienen ein und hebt gleichzeitig den Lastwagen vom Boden ab. Von aussen sieht das so aus, als würde der Laster nun ein paar Zentimeter über der Strasse schweben. Bewegt wird der schwebende Lastwagen danach ähnlich wie ein Tram. Man beschleunigt oder bremst mit einem Joystick und folgt dabei den Punktesignalen, die auch den Trampiloten und Busfahrern angeben, wann sie fahren dürfen und wann nicht. Lenken kann man nicht mehr. Die Schienen weisen den Weg.

Das Reinigen der Schienen verläuft in drei Schritten. Fix montiert am Schienen-tauglichen Fahrwerk ist ein grosser Saugschlauch, der sich genau über der Vertiefung der Schiene befindet. Auf dessen Vorderseite befindet sich eine Spritzdüse. Wird der Putzmechanismus aktiviert, spritzt die Düse einen harten Wasserstrahl in die Gleis-Rille unter sich. Gleichzeitig saugt der Schlauch den so gelockerten Dreck aus den Schienen heraus. Dieses Schmutzwasser wird im Tank auf der Ladefläche des Lastwagens gesammelt und am Ende des Einsatzes in einer Entsorgungsanlage in Glattbrugg entsorgt.

«Unsere Abteilung ist 24 Stunden am Tag im Einsatz»

Während der Nachtschicht, wenn der Tramverkehr ruht und langsames Fahren möglich ist, hängen die Mitarbeiter einen Schleif-Anhänger hinten an den Lastwagen: den sogenannten Bandschleifer. In diesen Anhänger werden grosse Schleifpapier-Rollen eingespannt. Das Schleifpapier wird dann durch einen Mechanismus auf die Gleise heruntergedrückt. Beim Fahren drehen sich die Rollen langsam, und der Schienenkopf wird gleichmässig abgeschliffen.

Die Mitarbeiter der Gleisinstandhaltung müssen die Stadt Zürich mit all ihren Einbahnstrassen, Abkürzungen und Flaschenhälsen in- und auswendig kennen. Sie müssen ein Gefühl dafür entwickeln, wo man schneller auf Schienen vorwärtskommt und wann man besser das Lenkrad in die Hand nimmt und sich in den Strassenverkehr mischt. Denn oft muss es schnell gehen. «Wir müssen definitiv gute Stadtkenntnisse haben, um schnell von A nach B zu kommen. Vor allem im Herbst, wenn das Laub herunterkommt», erzählt Burim, «unsere Abteilung ist 24 Stunden am Tag im Einsatz, damit im Netz der VBZ alles läuft wie geschmiert». In seiner Abteilung werden dafür Tages- und Nachtschichten gearbeitet, jeweils im Wochentakt.

Gerade während der heissen Sommertage seien die Nachtschichten nicht unbeliebt, erzählt Burim: «In der Nacht ist es kühler, ausserdem hat man die ganze Stadt für sich. So können wir konzentriert unserer Arbeit nachgehen.»

Schienen messen

Es ist eine eingeschworene Truppe, die sich da in der Nacht an den Gleisen zu schaffen macht. Die Heinzelmänner der VBZ kommen mit Lastwagen, Schweissbrennern oder Schleifmaschinen. Während Burim sich seinen Weg durch die Nacht schleift, kommt er immer wieder an kleinen Gruppen von Arbeitern vorbei; mal sind es Bauarbeiter, mal Ingenieure, mal Schlosser oder Elektriker. Irgendwo sprühen Funken über die dunklen Gleise. Gesprochen wird nicht viel. Jeder weiss, was er zu tun hat. Einmal verlangsamt Burim kurz neben zwei Männern, die mit einem Apparat herumhantieren, aus dem verschiedene Kabel kommen, die mit Klemmen an den Schienen befestigt sind. Was sie da machen, erkundigt er sich. «Wir messen die Schienen» kommt die Antwort. Mehr erfährt er nicht, und die Fahrt geht weiter. Eine gewisse Monotonie setzt ein. Das gleichmässige Rauschen der Motoren und das angenehme Rumpeln haben eine einschläfernde Wirkung. «Man muss schon aufpassen, dass man nicht müde wird. Aber man gewöhnt sich dran. Wenns gar nicht mehr geht, trinken wir halt schnell ein Red Bull oder irgendwo einen Kaffee.»

Gewisse Abschnitte im Netz wären tagsüber unmöglich zu reinigen. Da die Putzlastwagen langsamer sind als die Trams, müssen sie jedes Mal wieder «ausgleisen» und Platz machen, wenn sich von hinten ein Tram nähert. Vor allem mit dem Anhänger, den sie separat ein- und ausgleisen müssen, dauert das häufig viel zu lange. Es gibt Streckenabschnitte, auf denen sehr viele Linien in einem kurzen Takt fahren. Und es sind ja nicht nur die Trams. «Mir kommt es manchmal so vor, als ob die Stadt täglich wächst» meint Burim, «und wir sind mittendrin.» Die anderen Verkehrsteilnehmer wüssten oft gar nicht so recht, wie sie mit den heranschwebenden Lastwagen umgehen sollen. Die Fahrer an den Lenk-Joysticks der Putzlastwagen müssen deshalb immer weit vorausschauen und ihre orangen Kolosse mit grossem Feingefühl bewegen. «Wir müssen auf unsere Passanten aufpassen, denn wir fahren Stahl auf Stahl. Das macht den Bremsweg viel länger, als wenn wir auf Pneus unterwegs sind», so Burim. Ihre Reaktionsfähigkeit müsse deshalb «zu mehr als hundert Prozent da sein». Knapp werde es trotzdem oft. «Vor allem die Velofahrer fahren zum Teil wie die Verrückten. Sie denken, die Regeln gelten für sie nicht.»

Den ÖV im Blut

Auch wenn die Tagesschicht etwas chaotisch sein kann, geniesst Burim manchmal die Aufmerksamkeit, die man von den Passanten erhält. Viele machen Fotos oder Videos und lachen zu ihm hinauf in die Führerkabine. Vor allem viele Touristen haben noch nie ein solches Gefährt vorbeirauschen sehen. Das gefällt Burim: «Irgendwie ist es noch schön, Teil von etwas zu sein, das für viele nicht alltäglich ist.»

Vor seiner Zeit bei den VBZ war Burim sechzehn Jahre lang als Maler tätig. Irgendwann hatte er genug von der Baustelle. Der Gedanke, sich bei den VBZ zu bewerben, kam danach relativ schnell, denn Burims Vater arbeitete lange bei den SBB und auch sein Bruder ist im öffentlichen Verkehr tätig. «Unsere Familie hat das fast ein bisschen im Blut – die öffentlichen Transportmittel.» Irgendwann einmal in einem Büro zu sitzen, ist für Burim keine Option. “Ich könnte mir das nie vorstellen. Ich bin ein Typ, der immer in Bewegung sein muss. Ein bisschen wie eine Maschine.”

Die Maschinen der Abteilung Gleisunterhalt (menschliche und mechanische) laufen gerade auf Hochtouren. Denn der Herbst, ihre Hauptsaison, hat bereits begonnen. Anders als die Heinzelmännchen im Kinderbuch kommen die Heinzelmänner der VBZ mit grossem Getöse und schwerem Geschütz zur Arbeit. Doch auch ihnen haben wir viel zu verdanken. An 365 Tagen und Nächten im Jahr setzen sie ihre Putzlaster ins Schienennetz, schleifen und saugen unermüdlich über die Gleise und ermöglichen damit einen reibungslosen Trambetrieb in der Stadt Zürich.

 

 

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