Einem Weltkulturerbe auf der Spur

Es gibt nicht wenige Menschen, die sagen, Zürichs Herz schlage im Takt der VBZ. Das ist ein schönes Kompliment – wie sehr die Qualität und Zuverlässigkeit des öffentlichen Verkehrs dieser Stadt geschätzt wird. Wie aber ist das in anderen Grossstädten dieser Welt? Sind Busse, Trams, S- oder U-Bahnen dort ähnlich pünktlich und komfortabel wie bei uns? In einer losen Serie werden wir solche und ähnliche Fragen rund um den internationalen ÖV zu beantworten versuchen – durch persönliche Berichte von sogenannten «Sonderkorrespondenten». Diesmal schildert Luca Petrarca seine Eindrücke von einer Fahrt mit der Rhätischen Bahn.

Die Reise, von der ich berichten werde, führte mich in den Kanton Graubünden, den man bisweilen auch als «Schweiz innerhalb der Schweiz» bezeichnet – einerseits, weil seine Form jener des Landes verblüffend ähnlich sieht, andererseits, weil man hier mit Deutsch, Italienisch und Rätoromanisch zumindest drei der offiziellen vier Amtssprachen spricht. Hauptort des Kantons ist Chur, und da befindet sich auch der Sitz der Rhätischen Bahn (RhB), die unser Transportmittel fürs Abenteuer durch Rätien sein wird.

Auf dem Streckennetz der RhB verkehren elf Linien: acht Regio/Regio Expresse, ein Autoverlad und zwei Linen der S-Bahn Chur. (Bild: RhB - Streckenplan)

Wir fahren von Chur über einen Teil der Albula-Linie (Thusis – St. Moritz) bis Samedan. Seit 2008 wurde die Albula-Linie zusammen mit der Bernina-Linie (St. Moritz – Tirano) in die UNESCO-Weltkulturerbe-Liste aufgenommen. Die Rhätische Bahn ist weltweit erst die dritte Eisenbahn, welche von dieser Teil-Organisation der UNO auf diese Weise geadelt wurde. Die Albula-Strecke, wie ich vorhin angegeben habe, führt auf 62 wunderschönen Kilometern zwischen Thusis und St. Moritz über 144 Brücken und durch 42 Tunnels (das gesamte Streckennetz der RhB ist 384 Kilometer lang, es zählt 616 Brücken und 115 Tunnels).

Einer der wortwörtlichen Höhepunkte der Fahrt ist das 65 Meter hohe und 136 Meter lange Landwasserviadukt, das sich in der Nähe des Bahnhofs Filisur befindet. Diese Eisenbahnbrücke schwingt sich in elegantem Bogen in einen Tunnel in einer steilabfallenden Felswand. Es handelt sich um eines der imposantesten Bauwerke in der Schweiz und gilt deswegen als Wahrzeichen der Rhätischen Bahn.

Das Landwasserviadukt auf der Albulabahnlinie hat mittlerweile weltweite Berühmtheit erlangt. (Bild: Luca Petrarca)

Vom Bahnhof Preda her erreichen wir dann nach 5,8 km das Engadin durch den Albula-Tunnel. Der 1903 eröffnete Tunnel besitzt eine Höhe von 1823 m ü. M . und ist die zweithöchste Penetration durch die Alpen. Der höchste ist der Furka-Scheiteltunnel mit 2160 m ü. M. Im Jahr 2021 wird parallel zum existierenden Tunnel ein neuer eröffnet (weitere Informationen finden Sie unter diesem Link).
Apropos Tunnel: der längste Tunnel der RhB ist der Vereinatunnel zwischen Klosters und dem Sagliains mit 19042 m – der drittlängster in der Schweiz!

Hätten wir die Zugfahrt noch rund eine halbe Stunde fortgesetzt, wären wir in einem der bekanntesten Ferienorte der Welt angekommen. Aber St. Moritz musste noch einen Tag warten – wir nämlich fahren nur noch ein kleines Stück weiter, steigen in Samedan aus, trinken dort eine warme «Schoggi». Schliesslich sind wir ja mit winterfester Ausrüstung unterwegs, weil vor allem zum Schlitteln auf der bekannten Preda-Bergün-Strecke gekommen … und tatsächlich: Je länger die Alpenrundfahrt dauert, umso mehr werden wir in Ferienstimmung versetzt.

ÖV in Graubünden

Anders als bei meinen bisherigen Ausflügen in den Kanton Graubünden, habe ich diesmal nicht bloss die Fahrt genossen, sondern – das ist wohl die «deformation professionelle» eines jedes VBZlers – mich auch über gewisse technische bahntechnische Belange schlau gemacht.

Ich habe unter anderem herausgefunden, dass die Rhätische Bahn auf Meter- und nicht auf Normalspuren wie die S-Bahn (mit 1435 Millimeter) verkehrt – genau wie unsere VBZ-Trams!

Dennoch können die VBZ-Trams die RhB-Strecken nicht befahren, und das hat Gründe. So erfahre ich von unserem Inhouse-Experten Bruno Gisler – er ist Leiter der Unternehmenszentrale und «VBZ-Historiker» – dass die Tramräder auf den Bündner Schienen und Weichen nicht passen würden. Daniel Steger, Leiter Elektrische Anlagen, erklärt mir wiederum, dass es einen Unterschied im Stromsystem gibt: Unsere Fahrzeuge sind auf Gleichstrom mit einer Spannung von 600 Volt angewiesen – Triebwagen der RhB indes fahren auf dem Stammnetz mit Wechselstrom und einer Spannung von 11000 Volt. Auf der Berninabahn (St. Moritz – Tirano), die eine unabhängige Energieversorgung besitzt, fahren dieselbe Triebfahrzeuge – denn sie sind einheitlich in einer Zweistromausführung gebaut – mit Gleichstrom und 1000 Volt. Für unsere Trams ist die Spannung jedoch viel zu hoch und würde Schäden am Fahrwerk verursachen.

Ein weiterer Unterschied: Die Leistung eines VBZ-Trams mit fünf Motoren beträgt 625 Kilowatt. Ein RhB-Zug braucht hingegen eine Dauerleistung von 2300 Kilowatt und 1020 Kilowatt auf der Berninabahn, um die Anhängerlast befördern zu können.

Erlebnislinien der RhB

Wie die VBZ mit der Genusslinie und dem Märlitram, führt auch die Rhätische Bahn Erlebnislinien , darunter den «Bernina Express» und zusammen mit der Matterhorn Gotthard Bahn den «Glacier Express ». Der «Glacier Express» führt von Zermatt im Kanton Wallis bis nach St. Moritz, womit er einen grossen Teil der schweizerischen Alpen durchquert. Von der Rhätischen Bahn wird er als «langsamster Schnellzug der Welt» bezeichnet. Aus meiner Kindheit erinnere ich mich an eine atemberaubende Strecke und einem 3-Gang-Menü direkt am Platz serviert.
«Die spektakulärste Alpenüberquerung», wie sie die RhB nennt, erlebt man mit dem «Bernina Express». Indem man, von Chur oder St. Moritz her kommend, über den mächtigen und prächtigen Bernina-Pass ins Val Poschiavo und weiter nach Tirano fährt. Diese faszinierende Route verbindet. In Zusammenarbeit mit anderen Transportfirmen wird auch eine Alpenrundfahrt in einem Teil der angrenzenden Umgebung – und ja, sogar eine achtstündige Kulturreise ans Mittelmeer nach Venedig – angeboten.

Dass ich an dieser Stelle bewusst auf den Bericht vom Schlitteln und vom Besuch in St. Moritz verzichte, liegt daran, dass man bei den Sonderkorrespondenten-Berichten den Fokus immer aufs Verkehrsmittel legt. Nichtsdestotrotz war das Schlitteln der Hammer. Es gab auch keine Verletzte!

Die Schlittelbahn Preda-Bergün ist auch nachts offen. (Bild: Luca Petrarca)

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