Leben für die Limmat

Die neue Limmattalbahn und ein besseres Busangebot: Per 11. Dezember 2022 bewegt sich einiges im Limmattal. Auf diesen Anlass hin stellen wir in einer Mini-Serie Menschen vor, die im Limmattal ebenfalls etwas bewegen. Heute: Tobias Liechti, Umweltplaner und Auen-Experte.

Wo man hinschaut, geht es darum, dass alles im Fluss bleibt – das gilt für die Wirtschaft, den Verkehr und erst recht für die Limmat. Diese soll ab 2027 renaturiert werden. Im Projekt «Lebendige Limmat» bereitet der Kanton zusammen mit den Limmattaler Gemeinden die Rückkehr einer ursprünglicheren und artenreicheren Version des Fliessgewässers vor. Wir haben darüber mit Umweltplaner Tobias Liechti gesprochen, der als Mitglied des Planerteams für terrestrische Ökologie zuständig ist.

Naturschutzexperte Liechti ist ein sprudelnder Quell des Wissens. Wenn er das Projekt erläutert, trägt er die Zuhörerinnen und Zuhörer in eine grüne Auenlandschaft mit zahlreichen Flussarmen – das Limmattal vor 150 Jahren: «Es gab viele kleine Inseln, der breite Fluss konnte kaum überquert werden», beschreibt er. Man habe Ackerland gewinnen und Überschwemmungen sowie Krankheiten verhindern wollen, in einer Zeit, in der es eine hohe Arbeitslosigkeit gab.

Letztlich habe das Korsett für den Fluss einen Rückgang der Artenvielfalt zur Folge gehabt – zudem sei der Fluss in Folge der einsetzenden Industrialisierung zur Kloake geworden: «In den Wettinger Stauseen liegt heute noch giftiger Schlamm aus der damaligen Zeit, glücklicherweise tief unter den neueren Sedimenten», sagt Liechti und fügt an, dass in der Folge die Armleuchter-Alge ausgeblieben sei und – infolgedessen – auch die Kolben-Ente. Dank moderner Kläranlagen sind beide zurückgekehrt.

Vom Schillerfalter bis zum Eisvogel: 40 Prozent aller Tier- und Pflanzenarten finden sich in Auen

Wenn es der Limmat gut geht, tummeln sich nicht nur mehr Fische im Wasser, auch in der Luft flattert so einiges herbei, was heute gefährdet ist. Die Renaturierung soll verschiedensten Arten Lebensraum bieten. Dem schillernden Eisvogel etwa oder – mit verhaltener Hoffnung – dem im Mittelland ausgestorbenen Flussuferläufer, der an Land mit seinem wippenden Gang und in der Luft mit seinem Schwirrflug auffällt. Aber auch dem kleinen Schillerfalter, eine Schmetterlings-Art, die – wie Liechti erklärt – als Raupe Zitterpappelblätter frisst und sich später, als Falter, vorzugsweise auf Kiesbänken sonnt. Die «Lebendige Limmat» sei «ein Jahrhundertprojekt, in etwa so wie die Thurauen», wirft Liechti begeistert ein, «so etwas vor den Toren Zürichs ist unglaublich toll.» Profitieren würden letztlich auch die Biber, von denen es bereits Familien in den Geroldswiler Auen, bei Glanzenberg und im Auenpark Werdhölzli gebe. Diese würden dann bei Schlieren ein Revier aufbauen und Junge aufziehen können.

«40 Prozent der Tier- und Pflanzenarten kommen in Auen vor, obschon Letztere weniger als 1 Prozent der Landesfläche ausmachen», erläutert Liechti. Das ist wohl mit ein Grund, weshalb der Forstingenieur weniger im Wald zu finden, sondern eine Koryphäe für Auen ist – «die Hotspots der Biodiversität.». Wenn er den Unterschied zwischen dem Ökosystem eines Buchenwalds und jenem am Flussufer erklärt, ist die Begeisterung für fliessende Gewässer greifbar: «Ein Buchenwald ist ein geschlossenes System, ohne Sturm fassen neue Pflanzen dort schwer Fuss. Ein Fluss hingegen bleibt in Bewegung und erhält dadurch viele Neuankömmlinge. So entsteht eine hohe Dynamik.» Eine Dynamik, wie sie der 49-jährige auch in seinem Umfeld schätzt: Er lebt seit 20 Jahren in Dietikon und kann dem Limmattal unverhohlen mehr abgewinnen als anderen, vielleicht lauschigeren Plätzchen in und rund um Zürich. Das Limmattal nämlich sei ein Ort, an dem man ankomme und willkommen geheissen werde, ein Ort eben, an dem noch Neues entstehen könne, so Liechti.

Verstehen, wie die Limmat einst war und damit arbeiten

Aber zurück zum Projekt: Es ist schlussendlich die Limmat selbst, die den Experten beim Planen «unter die Arme greift», und zwar buchstäblich, indem die alten Flussarme teilweise noch immer existieren und Einblicke in das ursprüngliche Naturell des Flusses gewähren. «Daran orientieren wir uns – das Verständnis der Landschaft lässt uns errechnen, wohin sie sich entwickeln wird», erklärt Liechti. Erfahrungen konnten bereits in den Geroldswiler Auen gesammelt werden, wo im Jahr 2006 auf neun Hektaren Seitenarme und Inseln gebaut wurden – eine Art Miniatur-Ausgabe des bevorstehenden Projekts.

Kaum ein Halm oder Käfer, den Liechti entlang der Limmat nicht kennt, fast kein Naturschutzgebiet, dem er nicht bereits Sorge getragen hat: Der Ökologe betreut auch die Dietiker Limmat-Altläufe. Am Katzensee kann man ihn in der Funktion des Rangers antreffen. Liechti hat seine Passion zum Beruf gemacht: Das sei nicht möglich, ohne eine längere Phase, in der nichts anderes mehr Platz hat, in der man «spinnt», wie er sagt. Diese sei nun aber vorüber – zwar lasse er es sich auf Reisen nicht nehmen, die jeweiligen Landschaften zu entdecken, ansonsten widmet sich der Musikliebhaber am Feierabend aber lieber der Kultur und seinem Cello.

Der Vater zweier Töchter spricht mit dem selben Feuer über die Biodiversität wie andere über den FCZ: «In den 1960er-Jahren wurde die Wandermuschel in die Limmat eingeschleppt», lässt er uns wissen. Diese seien so zahlreich gewesen, dass man heute weisse Sandbänke aus Muschelschalen beispielsweise bei Unterengstringen findet. «Folglich kamen mehr Tuchentenarten, welche Muscheln fressen – die Klima-Erwärmung die Anreise für die Vögel obsolet machte, weil die Gewässer in der Heimat nicht mehr zufrieren», berichtet Liechti munter.

Ein sanfter Umzug

Die bestehenden Naturschutzgebiete leisten einen handfesten Beitrag an das Come-back der lebendigen Limmat weiter flussaufwärts, erklärt Liechti: «Wir werden an den bestehenden Limmat-Auen Wiesen mähen und dieses mitsamt darin enthaltenen Samen, Pilzen und Käfern frühmorgens an den neuen Ort zügeln.» Diese Praxis wurde bereits in den Geroldswiler Auen angewendet, mit Arten wie dem kantigen Lauch oder dem Lachenals Wasserfenchel, welche es europaweit nur noch an wenigen Stellen gibt – die jetzt aber in den Dietiker und Geroldswiler Auen zu Tausenden wachsen. Früher habe es an der Limmat den kleinen Rohrkolben gegeben, «eine Art Mini-Kanonen-Rohrputzer», wie der Naturfreund die Sumpfpflanze mit einem Schmunzeln beschreibt. Sollte es dieser vom Aussterben bedrohten Art gefallen, darf man sich auf Tausende davon freuen. Voraussetzung dafür seien aber sich ständig umlagernde Kies- und Sandbänke.

Die grosse Herausforderung werde laut dem Umweltplaner darin bestehen, den Menschen einerseits ein offenes, attraktives Naherholungsgebiet zu bieten, andererseits Tiere wie den Eisvogel, der einen störungsfreien Nistplatz benötigt, oder auch trittempfindliche Pflanzen ausreichend zu schützen. Wenn dies gelingt, und davon darf man ausgehen, liegt irgendwann in den 2030er-Jahren vor Zürich ein kleines Paradies.

 

Der Limmattaler ÖV ab 11. Dezember 2022

Am Fahrplanwechsel bricht eine neue Ära für das Limmattal an: die Einführung der Limmattalbahn. Auch auf dem Busnetz wird einiges umgekrempelt. Was genau, erfahren Sie unter vbz.ch/limmattal

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