«Nächster Halt: Leitstelle»

Alle Zürcher kennen sie, die nette Stimme der «Züri-Linie», die ruhig, aber bestimmt durch den Lautsprecher säuselt: «Information der Züri-Linie: Streckenblockierung beim Central». Als Studentin habe ich mich etliche Male gefragt, wieso dieser sympathisch klingende Herr (ja, es waren damals immer Typen) stets so schnell über eine bestimmte Störung oder Verspätung Bescheid weiss. Is Big VBZ watching us? Viele Jahre später bin ich selbst auf die Arbeitgeberin VBZ umgestiegen und weiss inzwischen, dass ein gut ausgeklügeltes Leitstellensystem mit 20 Disponentinnen und Disponenten dahintersteckt. Diesem Geheimnis endlich auf die Spur gekommen, ist es an der Zeit, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen und Mario Schmid, stellvertretender Leiter der Leitstelle, einen Tag lang zu begleiten.

Zürich als weltweites Vorbild

Die Leitstelle der VBZ ist fast rund um die Uhr besetzt, am Wochenende wird der Betrieb gar durchgehend aufrecht erhalten, inszenieren während der Hauptverkehrszeit nämlich bis zu 400 Fahrzeuge das Zürcher Verkehrsspektakel. Der Tag jedes Verkehrsleiters beginnt an der Theke. Aber nicht etwa an der Kaffeetheke, sondern an der Infotheke, wo sie alle Details  zum aktuellen Geschehen auf dem Netz abholen können – wie zum Beispiel  Baustellen, Fahrplanänderungen oder Haltestellenverschiebungen. Aller Modernität zum Trotz geschieht dies nicht etwa beim Scrollen auf dem Ipad, sondern beim Durchblättern eines Ordners, auch liebevoll das «schlaue Buch» genannt. Sympathisch, finde ich.

Die Verkehrsleiter sind mit allen Fahrdienstmitarbeitenden via integriertem Bord- und Informationssystem (vereinfacht auch Funk genannt) verbunden. Das System ermittelt die Fahrzeugstandorte und errechnet deren fahrplanmässige Abweichungen, ermöglicht den Funkverkehr und stellt die Fahrgastinformation sicher. Mit der Einführung eines rechnergesteuerten Betriebsleitsystems hatte Zürich 1971 weltweit Vorbildcharakter, kein anderes Transportunternehmen verfügte über einen computergesteuerten Sprech- und Datenfunk. Heute dagegen ist es für fast jeden Verkehrsbetrieb im städtischen Umfeld unvorstellbar, ohne zentrale Leitstelle auszukommen.

Disponent – geboren fürs Multitasking

Als Mitarbeiterin im Personalmarketing höre ich nicht allzu selten den plakativen Spruch «in diesem Job gleicht kein Tag dem anderen», oftmals schenke ich dieser Aussage wenig Glauben. Mein Besuch in der Leitstelle hat mich eines Besseren belehrt. Eine einzelne Störung im Netz kann die Bude (also Leitstelle) für einen Moment auf den Kopf stellen. Höchste Flexibilität und Belastbarkeit auf Seiten der Disponenten sind gefordert. In kürzester Zeit müssen sicherheitsrelevante Entscheidungen getroffen werden, ohne dabei Qualität der Arbeit und Betriebsvorschriften aus den Augen zu verlieren. Gleichzeitig fordert ein Störungsfall ein hohes Mass an Einfühlungsvermögen den Beteiligten gegenüber. Dass man zudem das gesamte Verkehrsnetz aus dem Effeff kennen muss, versteht sich von selbst.

Und Action!

Ich denke nicht, dass ich dieser tagein, tagaus anspruchsvollen Aufgabe gewachsen wäre. Doch einmal wenigstens wollte ich es versuchen – hier der dazugehörige «Actionbericht». 09:01: Notruf auf der Linie 2; Schauplatz Grimselstrasse; Fremdkollision im Gleisbereich – eine Person liegt verletzt auf dem Boden. Puls steigt, für einen Moment herrscht ein wildes Durcheinander. Ich muss mich bemühen, den einzelnen Aussagen der Disponenten folgen zu können. Ich höre Wortfetzen wie «Kurs 3 ist blockiert, Umleitung eingeführt» oder «akustische und visuelle Fahrgastinformation sind sichergestellt». Schnell wird mir bewusst, dass diese Aussagen, die sich für meine ungeübten Ohren ein bisschen wie Kauderwelsch anhören, absolut Sinn ergeben. Während Verkehrsleiter Marco Arpagaus die Teilstrecke beidseitig sperrt und die Tramlinien umdisponiert, übernimmt Betriebsmanager Roger Wyss bereits die Verantwortung  für die Durchsage der «Züri-Linie» für Fahrdienstmitarbeitende und Fahrgäste. Disponent Walti Schön schliesslich setzt sich umgehend mit dem Troubleshooter vor Ort in Verbindung.
Auf dem Bildschirm vor mir ist der Soll-Ist-Vergleich der beteiligten Fahrzeuge schematisch ersichtlich, ebenso die von der Leitstelle aufgebotenen Ersatzbusse. Alles geht schnell, sekundengenau können die Fahrzeuge verfolgt werden. Dank einem eingeübten Zusammenspiel sind die notwendigen Massnahmen bereits nach sechs Minuten eingeleitet, was dem Fahrgast auf dem nicht betroffenen Streckenabschnitt einen Regelbetrieb gewährleistet. «Die Zeit arbeitet immer gegen uns – schon eine kleine Störung kann im Hintergrund einiges bewirken», bemerkt Mario Schmid, stellvertretender Leiter der Leitstelle.

Geographische Darstellung des betroffenen Netz-Abschnitts.
Schematische Darstellung der involvierten Fahrzeuge.

Kaum ist dieser Notruf verdaut, kommt bereits der nächste: Eine Weichenstörung beim Landesmuseum, wodurch das Tramsignal blockiert wird. Anderes Szenario, gleiches Tempo. In Kürze wird ein Troubleshooter verständigt und der Trampilotin mitgeteilt, sie solle mit der nötigen Vorsicht mit dem Individualverkehr mitfahren. So geht es den ganzen Tag weiter. Von einem Wasserleitungsbruch zu Behinderungen aufgrund falsch parkierter Autos, von Kleinkollisionen zu Türblockierungen – bis hin zum epileptischen Anfall eines Passanten. Ständig ertönt der Notruf, bis zu 1500 Funkgespräche pro Tag werden geführt und anschliessend minutiös in einem Journal protokolliert.

Ich bin die Stimme der Züri-Linie

Der Tag rast vorbei, es kommt mir manchmal vor wie im Zeitraffer. Als Höhepunkt darf ich dann tatsächlich einmal die Stimme der «Züri-Linie» sein und Durchsagen zu Verspätungen und Ausfällen machen. Ich gebe mich betont cool, und doch merke ich, wie mir vor der Durchsage einer technischen Störung die Knie zittern. Was, wenn ich stocke? Was, wenn ich etwas Falsches sage? Zum Glück versagen meine Nerven nicht und ich kann die Informationen ohne grosses Hadern wiedergeben. Ein tolles Gefühl!

VBZ-Leitstelle

Die VBZ-Leitstelle wurde am 6. April 1971 gegründet und ist massgeblich für die Qualität des Betriebsablaufs zuständig. Insgesamt sind 18 Disponenten und 2 Disponentinnen in der Leitstelle im Schichtbetrieb beschäftigt und können dank einem ausgeklügelten Störungsmanagementsystem Probleme im Netz frühzeitig erkennen und geeignete Massnahmen effizient einleiten. Das computergesteuerte Leitstellenprogramm wurde von Häni-Prolectron AG (HPW) in Wil (SG) gebaut und 1971 in Zürich eingeführt.

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