Nomen est omen

Sie werden neu geschaffen, manche verschwinden wieder, werden verlegt, umgetauft. Die Haltestellen passen sich den steten Veränderungen der Stadt an. Wie sie benannt werden sollen, ist oftmals eine Knacknuss – manchmal auch ein Politikum.

Einprägsam und zielführend – so müssten die Haltestellennamen sein, äusserte sich einst die VBZ-Führung. Eine präzise geografische Bezeichnung soll den Fahrgästen Orientierung bieten. Über 1100 verschiedene Haltestellennamen wurden in den letzten 137 Jahren für das städtische Tram- und Busnetz kreiert. Fast zwei Drittel davon existieren heute nicht mehr.

Halt an jeder Hausecke

Als Fuhrhalter Furrer 1865 den ersten fahrplanmässigen Pferdeomnibusbetrieb zum Tiefenbrunnen eröffnete, war das Ganze noch kein Thema, denn ausser den beiden Endpunkten existierten keine festgelegten Haltestellen. Überall dort, wo jemand am Strassenrand winkte oder im Wageninnern durch Zuruf den Aussteigewunsch kundtat, hielt der Kutscher an. Mit dem Rösslitram 1882 wurde es anders. Nicht zuletzt zur Schonung der Pferde gab es jetzt genau definierte Haltestellen, die allesamt einen sinnstiftenden Namen erhielten.

Die 5 Überlebenden von 1882

Anfänglich besass das Rösslitram 47 Haltestellen; die Haltestellendichte war fast doppelt so gross wie heute. Von den 47 Namen überlebten nur gerade fünf unverändert und ununterbrochen bis heute. Diese fünf sind: a) «Paradeplatz», b) «Helmhaus», c) «Feldeggstrasse», «Kreuzstrasse» und «Stockerstrasse». Wir sehen hier auch gleich, welche Kategorien sich besonders für die Haltestellenbenennung eignen: a) Plätze, b) Gebäude, c) Querstrassen. Demgegenüber eignen sich Längsstrassen weniger gut, auch wenn das vereinzelt vorkommt (Gutstrasse der Linie 67). So ist es kein Wunder, dass es keine Haltestelle «Badenerstrasse» gibt; auf ihrer gesamten Länge befinden sich 14 Tram- und Bushaltestellen, die alle für diesen Namen in Frage kommen könnten. Bei solch langen Strassenzügen müsste man die Hausnummern zur näheren Bestimmung heranziehen. Das wird in manchen ausländischen Städten so praktiziert, in Zürich war das nie der Fall.

Kreuzungen, Institutionen, Quartiere

Als präzise Bezeichnungen eignen sich auch Kreuzungen. Sie sind selten geworden, denn sie wirken etwas schwerfällig. Als Klassiker hat «Militär-/Langstrasse» bis heute überlebt. Einrichtungen mit regem Publikumsverkehr sind ebenfalls dankbare Namenspatroninnen, etwa Bahnhöfe und kulturelle Institutionen («Kunsthaus», «Museum Rietberg»). Einen schweren Stand haben hingegen Gotteshäuser. Nur gerade die neutral klingende «Kirche Fluntern» hat es in die Haltestellenliste geschafft. Als 1906 die Strecke Richtung Weinbergstrasse gebaut wurde, debattierte die zuständige Kommission über den passenden Namen für den ersten Halt oberhalb des Centrals: Haldenegg oder Liebfrauenkirche. War es für das zwinglianische Zürich unvorstellbar, eine Tramhaltestelle nach einer katholischen Kirche zu benennen? Wir wissen nicht, ob das der Grund war, denn die Diskussion ist nicht protokolliert. Wir kennen nur das Abstimmungsresultat: 4:1 für Haldenegg.

Quartiernamen, besonders wenn es sich um Endstationen handelt, sind sehr kundenfreundlich. Sie erscheinen auf den Endzielanzeigen und erleichtern damit vorab den Ortsfremden die Orientierung ungemein: «Albisrieden», «Seebach», «Wollishofen». Das letzte Beispiel ist allerdings nicht unproblematisch, denn die Haltestelle befindet sich ein gehöriges Stück vom Ortskern entfernt.

Firmen

Schon aus prinzipiellen Gründen sind Firmennamen für Haltestellen eigentlich tabu, denn: Welche Bank soll für den Paradeplatz stehen? Dennoch haben es einige wenige alteingesessene Firmen in der Vergangenheit geschafft, etwa «Micafil» schon zu Zeiten der Limmattal-Strassenbahn. Oder «Rentenanstalt», erstmals 1928, auch wenn die Anstalt inzwischen ihren Namen gewechselt hat. Die Haltestelle «Siemens» hat immerhin eine kleine Umtaufe erhalten, denn ursprünglich hiess sie «Siemens-Albis». Auch wenn es der Firma bislang noch nicht gelungen ist, ihre Tramwagen nach Zürich zu verkaufen, darf sie sich trösten, in der Limmatstadt eine eigene Haltestelle ihr Eigen zu nennen. Auf besondere Weise hat die Firma Escher-Wyss den Einzug in die Haltestellenliste geschafft, indem sich die städtische Strassenbenennungskommission 1917 dazu bewegen liess, die zuvor namenlose Strassenkreuzung vor dem Firmenportal entsprechend zu benennen, womit folgerichtig auch die Tramhaltestelle diesen Namen erhielt: «Escher-Wyss-Platz».

Dass Firmennamen für Haltestellen selbst im Gewerbe umstritten sind, beweist das Beispiel der 1991 neu eröffneten Haltestelle «Letzibeck» der Linie 31. Diese Namenswahl erzürnte den Bäcker- und Konditor-Verband. Es gehe nicht an, dass man einen Einzelbetrieb bevorzuge, sonst verkomme das VBZ-Haltestellenverzeichnis zum Firmenkatalog. Die besagte Haltestelle heisst heute übrigens «Letzipark».

Das Weglassen der Strasse und Himmelsrichtungen

Als 1986 die beiden Aussenäste des Schwamendinger Trams eröffnet wurden, erhielten die Haltestellennamen eine Anpassung, indem der Zusatz «…strasse» weggelassen wurde. Begründet wurde dies mit dem Umstand, dass auch die Benennung nach Querstrassen verwirrend sein kann. Daher wurde aus der «Roswiesenstrasse» an der Linie 7 «Roswiesen», weil für die Roswiesenstrasse je nach Hausnummer die Haltestellen «Heerenwiesen» oder «Luegisland» der Linie 9 näher gelegen sind. Besonders konsequent wurde die Entschlackung durch das Weglassen der Strasse beim Stadtbus Winterthur umgesetzt. Dort heissen Haltestellen «Jonas Furrer», «Rudolf Diesel», «Hedy Hahnloser».

Das Heranziehen der Himmelsrichtung ist eine neuere Erscheinung, eine pragmatische Verlegenheitslösung, weil ja alle wissen, dass die wenigsten Fahrgäste einen Kompass im Sack haben. Meistens handelt es sich um eine separate Haltekante hinter dem Bahnhof («Bahnhof Altstetten Nord») oder vor der Strassenkreuzung («Glaubtenstrasse Süd»). Den behelfsmässigen Charakter dieser Bezeichnungsart dokumentiert ein seltsamer Vorgang im Jahr 2003. Die einstige 14er-Haltestelle «Bahnhof Oerlikon Nord», die ursprünglich «Eisfeldstrasse» hiess, machte über Nacht plötzlich einen Schwenker Richtung Sonnenaufgang und heisst seither «Bahnhof Oerlikon Ost». Das hat nichts mit der Polwanderung zu tun, sondern dient der Unterscheidung zur 80er-Bushaltestelle, die den Namen behalten hat. Der Haltepunkt «Ost» liegt nun zwar östlich, aber groteskerweise auch nördlich von «Nord».

Zwischen Traditionspflege und Anpassung

Manchmal wird in rühriger Weise die Liebe zur Vergangenheit gepflegt. Die 31er-Haltestelle «Wagonsfabrik» auf Schlieremer Boden hat sogar in der eigentümlichen Schreibweise überlebt, obwohl das Werk schon 1985 seine Tore schloss. Unterdessen hält auch die verlängerte Linie 2 an der verschwundenen Fabrik. Aber auch andere Städte orientieren sich gerne an der Vergangenheit, etwa Basel mit dem Umsteigepunkt «Bankverein», ein Verein, den es schon lange nicht mehr gibt.

Neben der Pflege von Relikten gibt es auch das Gegenteil, die Anpassung an neue Gegebenheiten, wobei das Tempo mitunter etwas zu wünschen übrig lässt. 1964 wurde das «Stadttheater» in «Opernhaus» umbenannt, doch erst 1969 – 5 Jahre später – erhielt auch die Tramhaltestelle diesen Namen, sehr zum Ärger und Spott der Zürcher Bürger. Und beim «Krematorium Sihlfeld», welches 1992 ausser Betrieb genommen wurde, dauerte es sogar 15 Jahre, bis die 3er-Haltestelle in «Altes Krematorium» umgetauft wurde, ein Umstand, der den «Blick am Abend» dazu bewog, die Meldung unter der Rubrik «Neues aus Absurdistan» abzudrucken. Aber einmal waren die VBZ schneller! 2002 benannten sie die einstige Haltestelle «Hohlstrasse» in «Bäckeranlage» um, obwohl der Park zu dieser Zeit offiziell noch «Aussersihleranlage» hiess. Die städtische Strassenbenennungskommission vollzog die Anpassung erst 2005.

Der emotionale Aspekt der Namensänderungen

Mitunter stiessen Namensanpassungen auf Protest des Publikums, etwa als 1977 der zürcherische Idylle ausströmende «Utohof» durch das reichlich bürokratisch klingende «Strassenverkehrsamt» ersetzt wurde.

2005 kam es im Zürcher Gemeinderat zu einer erheiternden Diskussion. Ein Postulat forderte die Umbenennung der Bushaltestelle «Rosengartenstrasse» in «Provisorium», weil die triste Gegend um die Westtangente nur provisorisch akzeptiert werden könne und das pure Gegenteil eines duftenden Rosengartens darstelle. Zum grossen Erstaunen aller wurde das Postulat mit 59 gegen 48 Stimmen überwiesen, obschon ein Gegner lakonisch meinte, wenn schon eine Änderung, dann gebe es für die Haltestelle nur einen passenden Namen: «Schildbürger».

Die Schilder und das Ausrufen

Wie wurden die Haltestellennamen publik gemacht? Alle Schaltjahre mal wurde im «Tagblatt der Stadt Zürich» eine Haltestellenliste abgedruckt, was aber kaum auf Beachtung stiess. Auf dem – damals nicht breit gestreuten – Linienplan erschienen die einzelnen Haltestellennamen erst 1915. Bis sie auf den Haltestellenschildern aufgemalt wurden, dauerte es nochmals Jahrzehnte. Erst 1953 wurden sämtliche Tafeln auch mit dem entsprechenden Haltestellennamen versehen.

Die Fahrgäste wurden vor allem auf akustischem Wege mit den Haltestellennamen konfrontiert. Vor der Ära der automatischen Ansagen gehörte es seit jeher zu den Aufgaben des Kondukteurs (später des Wagenführers), die nächstfolgende Haltestelle deutlich und rechtzeitig auszurufen. Dies musste mit lauter Stimme geschehen, denn Lautsprecher kamen erst in den 1950er Jahren nach und nach in Betrieb. Das Ausrufen wurde indes nicht immer pflichtgemäss besorgt. Schon beim Rösslitram wurde das Personal deswegen gerügt.

Einmal wurde das Haltestellenausrufen gar zum Politikum. Während 1940 rundherum der Krieg tobte, debattierten die Zürcher Gemeinderäte über eine von der Geschäftsprüfungskommission einstimmig vertretene Anregung, die Haltestellen seien künftig in «unverfälschtem Schweizerdeutsch» auszurufen. Es entstand heftige Opposition gegen diese Art geistiger Landesverteidigung und überhaupt: manche Kondukteure stammten aus dem Bernbiet, der Inner- und Ostschweiz – welche Variante war dann unverfälschtes Schweizerdeutsch? Kurz: Die Anregung wurde nicht überwiesen, womit das Ankündigen der nächsten Haltestelle weiterhin in «schriftdeutscher» Sprache erfolgte. Ausschlaggebend war vielleicht die Äusserung eines Parlamentariers aus dem gegnerischen Lager, welcher anmerkte, sonst müssten die Kondukteure konsequenterweise nicht mehr «Bellevue» ausrufen, sondern: «Schööni Uussicht!»

Staubstrasse, Letzibach und Kantonalbank

Beim jüngsten Fahrplanwechsel änderten drei Halteorte ihren Namen. Die 7er-Haltestelle «Bahnhof Wollishofen» erhielt den Zusatz «/Staubstrasse». Den alten Namen erbte die neue Bushaltestelle auf dem Bahnhofvorplatz, wo die Fahrzeuge der verlängerten Linien 70, 184 und 185 wenden.

Nachdem die Haltestelle «Luggwegstrasse» stadtauswärts schon seit längerer Zeit weitab der Einmündung der namensgebenden Strasse liegt, ist auch eine entsprechende Verlegung für die Gegenrichtung vorgesehen. Um die Fahrgäste, welche die Luggwegstrasse suchen, nicht in die Irre zu führen, heisst die Haltestelle jetzt nach der Überbauung, bei der sie liegt: «Letzibach».

Der Name «Börsenstrasse» ist ein Relikt aus dem Jahr 1877 und widerspiegelt schon seit 89 Jahren die Tatsachen nicht mehr. Die Börse, die sich einst hier befand, wurde 1930 an den Bleicherweg verlegt, später in den Selnau – und heute gibt es sie in der ursprünglichen Form nicht mehr. Bereits Ende der 1950er Jahre verlangten einige Bürger die Umbenennung der Strasse in «Kratzstrasse», was bei den Anwohnern jedoch auf vehemente Ablehnung stiess. Letztlich setzte sich der Stadtpräsident persönlich für die Beibehaltung ein. Mit der Umbenennung in «Kantonalbank» wurde vergangenes jahr wenigstens die Tramhaltestelle der Realität angepasst. Wenn im Dezember die Haltestelle «Dammweg» in «Löwenbräu» umgetauft wird, könnte man meinen, das Gegenteil – nämlich eine Reise in die Vergangenheit – finde statt. Tatsächlich handelt es sich hierbei jedoch um eine Würdigung des kulturellen Schaffens im gleichnamigen Areal. Und das sind sie doch letztlich auch, die Haltestellennamen: ein kleines Stück Kultur.

Fahrplanwechsel: Mehr als neue Namen

Zum Fahrplanwechsel am 15. Dezember hin werden einige Haltestellen umbenannt. So wird beispielsweise aus «Wollishofen» der «Wollishoferplatz», aus der «Carl-Spitteler-Strasse» das «Zentrum Witikon» und aus dem vormaligen «Witikon Zentrum» wiederum die «Buchzelgstrasse». Verwirrend? Eine Übersicht über alle Namensänderungen, neuen Haltestellen und die Gesamtheit aller Angebotsänderungen finden Sie unter vbz.ch/fahrplanwechsel.

 

 

 

 

 

 

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