«Pünktlichkeit ist die Tugend der Gelangweilten»

Haben Sie sich an einer Haltestelle schon einmal gelangweilt, weil Sie auf das nächste Tram warten mussten? Oder freuen Sie sich eher darüber, dass unsere Fahrzeuge mehrheitlich pünktlich verkehren? Wir sagen Ihnen, was Pünktlichkeit bei den VBZ in Zahlen bedeutet und ob damit die Erwartungen unserer Fahrgäste an die Zuverlässigkeit erfüllt werden. Können wir dem englischen Schriftsteller Arthur Evelyn Waugh, von dem oben erwähntes Zitat stammt, damit das Gegenteil beweisen? Ganz im Sinne von «Pünktlichkeit ist die Tugend der VBZ»?

Wohl kein anderes Land wird für die Hochhaltung der Pünktlichkeit ähnlich markig gerühmt wie das Land, aus dem bekanntlich die genausten Uhren kommen: die Schweiz. Nicht wenige Touristen aus fernen Ländern amüsierten sich schon, wenn die Lautsprecherstimme eine 3-minütige Verspätung des Zuges ankündigt und sich dafür auch noch in aller Form entschuldigt. Pünktlich zu sein gehört hierzulande zu Anstand und Respekt vor den Mitmenschen und ist hoch angesiedelt im Wertesystem. Als Pünktlichkeit bezeichnet man gemäss Wikipedia das präzise Einhalten eines vereinbarten Zeitpunkts oder Termins. Das gilt für persönliche Treffen wie für den öffentlichen Verkehr. Pünktlichkeit wird mit Verlässlichkeit und Höflichkeit verbunden. Sie galt und gilt auch heute noch neben Fleiss und Sparsamkeit als sogenannte bürgerliche Tugend. Sogar Gotthold Ephraim Lessing sagte bereits im 18. Jahrhundert: «Bester Beweis einer guten Erziehung ist die Pünktlichkeit.»

In der postindustriellen Gesellschaft hat die Bedeutung der Zeit dann noch massiv zugenommen, wie das geflügelte Wort «Zeit ist Geld» impliziert. Es geht einher mit einem linearen und horizontalen Zeitverständnis der modernen Gesellschaft, das eng mit dem hochgelobten Fortschritt verbunden ist. Diesem wird in unserer Gesellschaft ein hoher Wert beigemessen.

Was bedeutet Pünktlichkeit für die VBZ?

Was bedeutet uns und unseren Fahrgästen die Pünktlichkeit? Sehr viel natürlich! Ein gut funktionierender und verlässlicher öffentlicher Verkehr ist einer der wesentlichen Gründe, diesen zu benützen. Ramon Rey, Projektleiter Marktentwicklung bei den VBZ formuliert es so: «Eine konkurrenzfähige Reisezeit ist wichtig, damit die Kunden unsere Fans werden – die Zuverlässigkeit, damit sie es bleiben.» Ein Fahrzeug ist bei uns pünktlich unterwegs, wenn die Abfahrtszeit an der Haltestelle zwischen -1 und +2 Minuten liegt. Damit schauen die VBZ für ihre Kunden in Sachen Qualität noch etwas ambitionierter hin als der ZVV, bei dem zwischen -1 und +5 Minuten noch als pünktlich gilt.

Die Pünktlichkeit einer Fahrt hat direkte Auswirkungen auf die Regelmässigkeit und die Anschlusssicherheit, wie folgende Grafik zeigt. Kann ein Fahrzeug in einem Störungsfall nicht mehr pünktlich verkehren, wirkt sich das auf die zwei anderen Bereiche aus, die Zuverlässigkeit ist gefährdet. Da kommt die Leitstelle ins Spiel: Während die Pünktlichkeit im Störungsfall leidet, können die Anschlusssicherheit und die Regelmässigkeit durch die Leitstelle noch am ehesten beeinflusst werden. So werden Fahrzeuge für wenige Minuten angehalten oder vorzeitig gewendet um wieder eine Regelmässigkeit in das System zu bringen oder ein Regionalbus wird an einem Bahnhof aufgefordert, den Anschluss abzuwarten.

Abbildung 1. Quelle: Eigene Darstellung.

Die Gewichtung der drei Bereiche ist sehr unterschiedlich ausgeprägt, je nach Bedürfnis und Wohn- resp. Arbeitsort des Kunden. Während in ländlichen Regionen, wo der Bus halbstündlich oder sogar nur stündlich verkehrt, die Pünktlichkeit und auch die Anschlusssicherheit sehr wichtig sind, ist es in der Stadt Zürich mit dem 7,5-Minuten-Takt vor allem die Regelmässigkeit, die zählt. Dazu gibt es wissenschaftliche Untersuchungen, ab welchem Takt die Pünktlichkeit wichtiger wird als die Regelmässigkeit, wie sich in folgender Grafik zeigt:

Abbildung 2 Quelle: Weidmann u.a. 12/2013, «Verkehrsqualität und Leistungsfähigkeit des strassengebundenen ÖV»

Ab einem Takt von 15 Minuten ist also nur noch die Pünktlichkeit wichtig.

«Bei den Anschlüssen sprechen die VBZ von «gesicherten» und «geplanten» Anschlüssen. Bei gesicherten Anschlüssen können wir diese aktiv beeinflussen, also zwischen den eigenen Linien oder bei der Abfahrt von einem Bahnhof. Bei geplanten Anschlüssen dagegen können wir die Anschlüsse nicht aktiv beeinflussen, wenn Fahrgäste zum Bahnhof gebracht werden», erklärt Ramon Rey von der Marktentwicklung. In diesem Fall wird für die Qualitätsstatistik nur ausgewertet, ob es mit der vom Fahrzeug eingefahrenen Verspätung theoretisch möglich wäre, den Anschluss gemäss Fahrplan wahrzunehmen. Dazu wird die in der Fahrplanauskunft angegebene Umsteigezeit verwendet.

Was bedeutet Pünktlichkeit bei den VBZ in Zahlen?

Nun reden wir nicht mehr um den heissen Brei und kommen zu den konkreten Zahlen zur Pünktlichkeit bei den VBZ. Im letzten Jahr 2019 verkehrten 86% der Fahrzeuge gemäss unserer Pünklichkeitsdefinition pünktlich, sie verliessen also die Haltestelle zwischen -1 und +2 Minuten gegenüber dem Fahrplan.

Abbildung 3 Quelle: Daten VBZ, eigene Darstellung

Die Pünktlichkeit unterscheidet sich relativ stark zwischen den einzelnen Betriebsbereichen. Das Tram ist schon seit Jahren pünktlicher unterwegs als der Bus oder der Trolleybus. Dies hat unter anderem damit zu tun, dass das Tram fast immer auf eigenem Trassee verkehrt, der Bus sich jedoch oft in den gleichen Spuren wie der Individualverkehr bewegt, was insbesondere zu den Stosszeiten zu Verspätungen auf exponierten Linien führen kann.

Abbildung 4 Quelle: Daten VBZ, eigene Darstellung

Die Ziele sind hoch gesteckt

Die Zahlen zur Pünktlichkeit sind zwar konstant hoch, aber die VBZ hat es sich zum erklärten Ziel gemacht, bis 2028 die Pünktlichkeit auf mindestens 90% zu steigern. Eine Roadmap, wie dieses Ziel erreicht werden kann, wird bis Ende dieses Jahres erarbeitet. Der Fokus bei den kurz- bis mittelfristigen Verbesserungen liegt auf den Linien mit einer Pünktlichkeit von unter 80%. Dazu Ramon Rey: «Die Forschung zeigt, dass für eine spürbare Verbesserung der Kundenzufriedenheit der Fokus für Verbesserungen bei Linien mit einer Pünktlichkeit von unter 80% liegen muss. Wir setzen uns bei allen Infrastrukturprojekten dafür ein, beispielsweise beim Zeltweg oder auf der Europabrücke.»

Die VBZ-Ziele, geordnet nach Prioritäten, sehen vor, dort abzusetzen, wo am meisten Verspätungen entstehen.

Werden die Erwartungen der Fahrgäste erfüllt?

Beruft man sich also auf die nackten Zahlen, schneiden die VBZ sehr gut ab was die Pünktlichkeit anbelangt. Auch andere «Hard-Facts» wie die Kundennachfrage und die Wirtschaftlichkeit sehen gut aus. Wie steht es aber um die «Soft-Facts»? Hier besteht ein Dilemma: es ist nämlich nicht genau bekannt, welche Bedürfnisse und Erwartungen die Fahrgäste an die VBZ und unseren Service haben. Um dies zu ändern hatten die Zürcher Bevölkerung gerade kürzlich im Rahmen der Umfrage «Was ist dein Plan für Zürichs Zukunft?» Gelegenheit, ihre Bedürfnisse online und im Rahmen von Walk-Ins kundzutun. Die Auswertung läuft derzeit und die Ergebnisse werden zu gegebener Zeit kommuniziert. Grundsätzlich sind die Erwartungen sehr individuell und schwierig zu messen. Ist es für die einen die Pünktlichkeit oder Regelmässigkeit die zählt, ist es für die anderen die Barrierefreiheit, das einfache Kaufen des Tickets oder eine schnelle Reisezeit. Neben den messbaren Indikatoren wie Pünktlichkeit, Fahrgastaufkommen und Wirtschaftlichkeit ist für den ZVV und die VBZ deshalb auch wichtig, die Kundenzufriedenheit zu messen. Dies geschieht mit der sogenannten MSQ-Befragung (Messung Service-Qualität). Dabei wird die Zufriedenheit in den Kategorien Zuverlässigkeit, Störungsmanagement, Fahrpersonal und Sauberkeit beim Kunden eruiert. Die Erkenntnisse aus dieser Befragung fliessen unter anderem wieder in die Angebotsplanung ein oder es werden in anderen Bereichen konkrete Projekte ausgelöst.

Was bedeutet den Zürcherinnen und Zürchern die Pünktlichkeit?

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, das zeigt sich im Alltag wie in speziellen Zeiten wie zuletzt in der Corona-Krise, in der sich die Zürcherinnen und Zürcher erstaunlich schnell an eine neue Routine gewöhnt haben. «Schaue ich meinen Arbeitszeitrapport an, fällt auf, dass ich es über einen Monat hinweg schaffe, jeden Morgen über ein Zeitfenster von +/- 5 Minuten einzustempeln. Welcher Autofahrer, welcher die gleiche Strecke Baden–Zürich pendelt, kann das von sich behaupten?» schmunzelt Ramon Rey, der mit dem ÖV und Publibike von seinem Daheim in Baden an seinen Arbeitsort in Zürich Altstetten pendelt. Morgens bei der Fahrt zur Arbeit scheinen die Pendler bezüglich der Zuverlässigkeit sensibler zu reagieren als nachmittags auf dem Nachhauseweg – ganz gemäss dem eingangs erwähnten Sprichwort «Zeit ist Geld». «Glücklicherweise sind wir in der Morgenspitze etwas zuverlässiger als in der Abendspitze. Unser Ziel ist es natürlich, die Zuverlässigkeit über den ganzen Tag hoch zu halten!» fügt Ramon Rey an.

Über die Hälfte der Feedbacks, die unser Kundendienst ZVV Contact zum Thema Zuverlässigkeit erhält, betreffen ausserdem Frühfahrten. «Beschwert sich über (wiederkehrende) Frühfahrt» ist der häufigste Eintrag der ZVV Contact Mitarbeiter*innen. Wie einzelne Feedbacks zeigen, wird sogar eine Frühfahrt von 15 oder 30 Sekunden registriert. Tatsächlich ist es ärgerlicher, wenn ein Fahrzeug zu früh abfährt als zu spät. Das kann wohl jeder nachempfinden, der schon einmal gerannt ist und es dann doch nicht schaffte. So ärgern sich viele Fahrgäste, dass das Fahrzeug «schon wieder vor der Nase abgefahren ist.» Auf die Gesamtzahl der Fahrgäste gesehen beschweren sich jedoch nur sehr wenige Leute. Schaut man sich also die gemessenen Zahlen und die hohen Werte in der MSQ-Befragung an, darf tatsächlich behauptet werden: Pünktlichkeit ist die Tugend der VBZ.

Artikel teilen:

Wir verwenden Cookies, um Ihnen den bestmöglichen Service zu gewährleisten. Durch die weitere Nutzung der Website stimmen Sie unserer Datenschutzerklärung zu.
Mehr erfahren