Über Nähe und Zeit

Alljährlich präsentieren die VBZ ihre Fahrgastzahlen; 2015 war es ein Total von 327,3 Millionen Personen. Was man dieser Zahl nicht entnehmen kann, sind Fragen wie: Welches ist der meistbefahrene Streckenabschnitt im VBZ-Netz? Und was genau macht den Zeltweg eigentlich zur «Knacknuss»? Hier erfahren Sie mehr dazu.

Autorinnen: Fabia Bernet und Julia Müller

Apathisch steht sie an der Tramhaltestelle Limmatplatz. Noch vier Minuten, bis ihr Tram einfährt und sie zum Sihlquai bringt. Sie fröstelt und zieht ihren viel zu leichten Mantel enger zusammen. Heute ist einiges schief gelaufen. Erst verschlafen, dann kein Kaffeepulver mehr in der Maschine. Auch der Kontakt zu ihren neuen Kollegen macht ihr Sorgen. Sie wirken zwar freundlich, fragen sie auch, ob sie mit ins Restaurant komme, doch sie traut sich nicht. Wie in allen Bereichen ihres Lebens. Teil eines Gruppe sein, echte Vertrautheit spüren, das ist es, was sie sich wünscht. Doch ihre Schüchternheit versperrt ihr den Weg dahin. Das Tram 17 fährt ein. Dutzende Menschen strömen in den bereits gut gefüllten Wagen, der wirkt wie eine Sardinen-Dose. Akkurat reiht sich Pendler an Pendler. Sie ist mittendrin. Spürt eine Hitze, welche die Kälte des Wartens rasch vergessen lässt. Und diese Nähe zu den Mitpendlern wärmt sie nicht nur körperlich, sondern auch seelisch. Endlich ist sie Teil einer Gruppe.

Schnellen Schrittes bewegt er sich vorwärts. Seine massgeschneiderten Lederschuhe verursachen einen monotonen Ton auf dem grauen Asphalt. Zielgerichtet steuert er die Haltestelle «Sprecherstrasse» an, wo er in den Bus einsteigen wird. Die Augen weichen nicht von seinem Smartphone. In der spielerischen Leichtigkeit eines virtuosen Pianisten tanzen seine Finger über den Touchscreen, im 30-Sekunden-Takt werden wichtige Nachrichten versendet. Er befindet sich im Dauerstressmodus. Nimmt seine Umgebung gar nicht mehr wahr. Für die Fahrt bis zum Kunsthaus hat er genau zweieinhalb Minuten einkalkuliert. Sobald er in den Bus gestiegen ist, folgt der obligate Griff zum Handy. Hinsetzen wäre Zeitverschwendung. Stehen ist effizienter. Der Bus hält abrupt. Die Ampel wechselt auf Rot. Vor ihnen stehen ungefähr 20 Autos. An ein rasches Weiterkommen ist nicht zu denken. Die Sekunden, die vergehen, kommen ihm endlos vor. Ein Blick auf das Gerät in seiner Hand lässt ihn vor Schreck erstarren: Schwarz. Die moderne Technik hat versagt. Totalausfall. Völlig fertig sinkt er auf den Bussitz. Zwangsweise muss er sich entspannen. Widerwillig schaut er aus dem Fenster. Denkt nicht an die Arbeit. Er kann endlich tief durchatmen

Die Autos stehen Schlange. Warten ist angesagt. (Bild: Fabia Bernet)

Zahlenjonglage

Diese zwei fiktiven Beispiele zeigen auf, dass den Faktoren «Nähe» und «Zeit» auf dem VBZ-Netz eine ganz besondere Bedeutung zukommt. Trotz hervorragender Werte sind die VBZ nicht «perfekt»; oft sind die Wagen tatsächlich übervoll, bisweilen stecken sie ausweglos im Berufsverkehr fest. Hier ein dazu ein paar Zahlen und Fakten.

Das begehrteste Tram ist nach wie vor der 11er. Mit 23 Millionen Fahrgästen transportiert er jährlich fast dreimal die gesamte Schweizer Bevölkerung. Was wohl auch daran liegt, dass es die längste Linie ist – die Fahrzeit einmal quer durch die Stadt liegt bei 50 Minuten. Doch es sind nicht die Tramlinien, die am meisten zugelegt haben – die Trolleybusse laufen ihnen mit einer prozentual dreifach so hohen Steigerung den Rang ab. Am meisten Fahrgäste transportiert hier der 32er. Im Gesamttotal liegen die Trams allerdings weiterhin vorn, von den 327,3 Millionen transportierten Fahrgästen im 2015 gehen 205,8 Millionen auf ihr Konto.

Wo’s eng wird

Täglich fast 900 000 Personen bewegen sich auf dem VBZ-Netz, die Mehrheit zu den Hauptverkehrszeiten am Morgen und Abend. Auf dem meistbefahrenen Abschnitt zwischen Rennweg und Paradeplatz transportieren die Trams jeden Tag zweimal das bis auf den letzten Platz besetzte Stadion Letzigrund, also über 62 000 Menschen. Dank der Verlängerung des 17ers, der nun auch in der Bahnhofstrasse «mithilft», kann diese Fahrgastmenge aber gut bewältigt werden. Am engsten wird es zur Rushhour tatsächlich zwischen Escher-Wyss-Platz und Sihlquai/HB. Hier sind «nur» drei Linien, jedoch viele Fahrgäste gleichzeitig von ihren Arbeitsplätzen oder von einer Schule in Zürich-West in Richtung Hauptbahnhof unterwegs; sie möchten den Übergang vom Arbeitstag in den Feierabend möglichst rasch und reibungslos  hinter sich bringen. So gibt es jeden Tag auf dem 4er und 17er über 10 Fahrten, die gemäss VBZ-Qualitätsstandards «überfüllt» sind. Ein paar Minuten auf einen 13er zu warten, könnte sich also ab und zu lohnen.

«Durch diese hohle Gasse muss er kommen»

Ein Sorgenkind beziehungsweise Nadelöhr auf dem VBZ-Netz ist der Zeltweg im Hottinger Quartier: einspurig und schmal mündet er beidseitig – also beim Kunsthaus wie auch beim Kreuzplatz – in vielbefahrene und lichtsignalgesteuerte Tram-Achsen. Doch für den 31er, den Trolleybus mit den zweitmeisten Fahrgästen, führt leider kein Weg an ihm vorbei. Im schlimmsten Fall steht der Bus minutenlang im Stau. Wer aber würde am Bahnhof Altstetten wartend vermuten, dass ein relativ kleines Strässchen am anderen Ende der Stadt Schuld an der Verspätung des Busses ist? Eigene Busspuren sind im Zeltweg rein platztechnisch unmöglich. Um nicht darauf hoffen zu müssen, dass VBZ-Busse irgendwann fliegen können, liegen Ansätze für eine verbesserte Priorisierung vor. Spätestens mit der geplanten Verlängerung der Linie 31 nach Witikon sollen entsprechende Massnahmen umgesetzt werden.

 

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