Update der Haltestellen-Realität

Die Experimente von heute sind die Innovationen der Zukunft. Ein Team der VBZ hat es sich deshalb zur Aufgabe gemacht, herauszufinden, ob und wie die Fahrgäste mit «Augmented Reality» beim Auffinden der Haltestelle unterstützt werden können. Nun soll ein Prototyp dazu getestet werden. Ein Interview mit Fanny Frei, Leiterin Information und Produktentwicklung

«Äxgüsi, chönd Sie mir säge, wo ich d’Haltstell vom 33gi findä?» –  «Sorry, I’m not from here.» Wenn es darum geht, sich in der Stadt punktgenau zurechtzufinden, kommt man mit Fragen nicht immer weiter, auch Google Maps hat seine Grenzen. Ein Ärgernis für alle, die zügig weiterkommen möchten. Wie können die Verkehrsbetriebe ihren Fahrgästen dabei helfen? Diese Frage hat sich die Abteilung «Information und Produktentwicklung» der VBZ gestellt.

Fanny Frei, Leiterin Information und Produktentwicklung, verrät uns, wie die Antwort lauten könnte: «Augmented Reality» heisst die Technologie, die wir vor allem aus der Welt der Spiele kennen. Damit können aber nicht nur «Pokémon Go»-Figuren aufgespürt werden, sondern eben auch der Weg zur gewünschten ÖV-Verbindung. Was in der Zukunft funktionieren soll, startet mit einem Experiment: So hat das dreiköpfige Team der VBZ gemeinsam mit der Agentur Bitforge einen Prototypen namens «ARNa», kurz für «Augmented Reality Navigation», ins Leben gerufen. Das Ziel ist, zu prüfen, ob und wie uns diese Technologie durch Zürich navigieren kann. Die studierte Maschinenbauerin Fanny Frei, welche den Master in «Nachhaltiger Entwicklung» besitzt und im Managementdepartement der ETH Zürich doktoriert hat, erklärt uns, worum es dabei geht.

Frau Frei, Ihr Team ist zuständig für «Produktentwicklungen». Um was für Produkte handelt es sich dabei?

Es geht um Produkte, die wir direkt zur Lösung von Kundenproblemen im öffentlichen Verkehr einsetzen können. So engagieren wir uns beispielsweise in Projekten im Bereich «Mobility as a Service», die verkehrsmittelübergreifende Lösungen wie «ZüriMobil» und «Yumuv» hervorbringen. Oder wir prüfen wie aktuell bei «ARNa», wie wir die Fahrgäste beim Auffinden von Haltekanten unterstützen können.

Sind unsere Haltestellen so kompliziert, dass wir virtuelle Navigationshilfen benötigen?

Das Problem vom Auffinden der richtigen Haltekante an gewissen, besonders komplex angelegten und daher unübersichtlichen Haltestellen, ist uns tatsächlich schon länger bekannt. Dort wäre eine Ergänzung zur traditionellen Fahrgastinformation für unsere Fahrgäste hilfreich. Das Problem verschärft sich, wenn die Haltestelle real nicht existiert, wie es beim digitalen Rufbus-System «Pikmi» oft der Fall ist. Auch Störungen im Tram- und Busbetrieb stellen die Fahrgäste vor die Herausforderung, trotz neuen, unbekannten Wegen schnellstmöglich weiterzukommen. Wir haben uns nun die Frage gestellt, inwiefern uns die digitale Welt effektive Lösungen ermöglicht.

Wie kamen Sie auf die Idee, «Augmented Reality» einzusetzen?

Die Frage, wie wir die Digitalisierung für konkrete Verbesserungen unseres Angebots einsetzen können, ist ein Kernthema unserer Abteilung. Was die «Augmented Reality» angeht, wurden wir unter anderem an Messen und im Kontext von Games oder Gamification mit dieser Technologie konfrontiert. Gleichzeitig bestehen bei den VBZ bereits verschiedene «Augmented Reality»-Anwendungen im Bereich Fahrzeugwartung und bei Infrastrukturprojekten.

Nun soll der Prototyp namens «ARNa» getestet werden. Was ist das Ziel dieses Testings?

Wir möchten wissen, ob diese Technologie reif genug ist, ob sie den Fahrgästen einen Mehrwert bieten kann und wo Hürden bestehen: Es geht darum, herauszufinden, wie sich die Bedienung für die Kunden anfühlt, wie sie sich damit bewegen und ob es sicherheitskritisch ist, wenn die Leute auf das Handy schauen. Wir haben bei bisherigen Tests beispielsweise festgestellt, dass es noch Probleme mit der Genauigkeit der Verortung gibt, weil Kompass und GPS teilweise zu ungenau sind.

Probleme mit der Genauigkeit: Ein erster Misserfolg?

In dieser Phase das Projekts ist es ein Erfolg, dass wir Fragen beantwortet erhalten und wissen, welche Knackpunkte gelöst werden müssen. Es treten auch andere Unschönheiten auf, etwa, wenn man am Albisriederplatz durch die Beratungsstelle gelotst wird anstatt daran vorbei. Solche Probleme festzustellen ist ja aber Sinn und Zweck des Testings. Unser Partner hat bereits evaluiert, welche Technologien den Prototyp in dieser Hinsicht verbessern könnten.

In welchen Situationen soll ARNa die Fahrgäste konkret begleiten?

Wir fokussieren derzeit auf drei Use-Cases:

  • Das Umsteigen an komplexen Haltestellen
  • Das Auffinden einer virtuellen Haltestelle bei Pikmi
  • Das Umsteigen auf Mikromobilität bei Störungen.

Es sind aber zahlreiche weitere Anwendungsfälle denkbar. Die drei Use Cases helfen uns, den Prototypen an ganz konkreten Bedürfnissen und in spezifischen Situationen zu testen. Damit erhalten wir entsprechende Einsichten, die uns bei der Weiterentwicklung des Produkts helfen.

Sie sprechen von virtuellen Haltestellen. Wie darf man sich das vorstellen?

Virtuelle Haltestellen sind Pikmi-Haltestellen, die ausschliesslich in der digitalen Welt existieren. Unsere Fahrgäste finden dazu in der Realität keine traditionelle Haltestelleninfrastruktur, wie zum Beispiel ein Wartehäusschen. «ARNa» stellt nun eine virtuelle Stele in die Landschaft. Damit erhalten die Kundinnen und Kunden eine Bestätigung und Sicherheit, dass sie am richtigen Ort warten. Der Mehrwert besteht darin, dass auf dem Gerät eine Haltestelle angezeigt wird, die in der Realität nicht existiert.

Kann ARNa bereits in realen Situationen getestet werden?

Mit jedem Use-Case ist eine Geschichte verknüpft, die man sich vorstellen muss, zum Beispiel jene von Maria, die zu einem Kundentermin fährt und pünktlich sein möchte. Diese Geschichte wird dann an realen Orten ausprobiert. Für das Auffinden einer Haltekante haben wir aktuell den Albisriederplatz implementiert, zum Umsteigen auf Mikromobilität die Flurstrasse. Die virtuelle Pikmi-Haltestelle wurde an der Glättlistrasse in Altstetten platziert, mitten im Wohnquartier. Nebst diesen Testumgebungen sind in dieser Phase aber keine weiteren realen Örtlichkeiten integriert.

Wie sieht die Geschichte im Fall der Multimobilität aus?

Multimodale Verkehrshubs sind ein spannendes Thema der Zukunftsplanung. In dieser Simulation steigt der Kunde beim Hubertus in den Bus ein und erhält beim Albisrank auf dem Bildschirm die Mitteilung, es bestehe eine Störung, welche am schnellsten überwunden werden kann, indem man an der Flurstrasse auf ein E-Bike umsteigt. ARNa hilft nun der Nutzerin, vom Bus an die ZüriMobil Station an der Flurstrasse zu finden, wo ein E-Bike für die Weiterfahrt bereitsteht.

Wie nutzen die User den Dienst, mit einer App? Kann ich damit das E-Bike auch gleich buchen?

Die Navigationshilfe mit Augmented Reality müsste bei einer Implementierung natürlich in eine App integriert werden. Zum Beispiel könnten das «ZüriMobil» mit Reservationsmöglichkeiten für Mikromobilität und die Fahrplan- oder eben die Pikmi-App sein. Das ist aber noch Zukunftsmusik. Momentan geben wir Testhandys ab, auf denen der Prototyp installiert ist, und dieser beinhaltet neben der Navigation durch Augmented Reality keine weiteren Funktionalitäten.

Unter welchen Bedingungen findet das Testing mit diesen Smartphones statt?

Das Testing wird unter definierten Bedingungen im Beisein des Teams durchgeführt: Es geht ja auch darum, zu beobachten, ob die Technologie intuitiv bedienbar ist, welche Schwierigkeiten auftreten können. Aus diesem Grund kann das Testing erst starten, wenn es die Situation rund um Covid-19 zulässt.

Fanny Frei, Leiterin Information und Produktentwicklung bei den VBZ. (Bild: Fanny Frei)

Zurück zur Funktionalität: Sie haben das Thema «Sicherheit» angesprochen. Werden die User daran erinnert, vor dem Überqueren der Gleise hochzublicken?

Das ist ein sehr spannender Punkt, den wir von Anfang an in unsere Überlegungen miteinbezogen haben. Wir haben festgestellt, dass es an komplexen Plätzen wie dem Albisriederplatz tatsächlich etwas anspruchsvoller wird. Zwar sieht man ja auf dem Smartphone, wohin man sich bewegt. Schwierig ist jedoch der Seitenblick und der hohe Lärmpegel auf bewegten Plätzen. Wir haben intern mit unserem Safety-Verantwortlichen diskutiert, welche Lösungsansätze es hierfür gibt, und stehen im Kontakt. Im Prototypen bereits integriert sind Warnhinweise bei Strassenquerungen, die mit einer Vibration des Smartphones unterstützt werden. Dieses Thema wird uns in der Weiterentwicklung von ARNa aber noch weiter beschäftigen.

Sind weitere Use-Cases vorgesehen?

Soweit sind wir noch lange nicht. Ausgeschlossen wäre es nicht. Wichtiger ist jedoch, dass ARNa in eine User-Experience-Kette beziehungsweise in eine bestehende Lösung integriert werden kann, um einen echten Kundenmehrwert zu generieren.

Sie haben erwähnt, dass bereits Erfahrungen im Zusammenhang mit dem «Holotram» gemacht wurden. Bestehen Synergien?

Wir sind intern in engem Austausch mit Stellen, die «Augmented Reality» als Arbeitshilfe in der Werkstatt oder auf Baustellen einsetzen. In der Zusammenarbeit mit Bitforge konnte diesbezüglich beidseitig ein grosses Knowhow aufgebaut werden. Der grosse Unterschied von diesen Anwendungen zu ARNa besteht darin, dass die Ersteren Lösungen eine Hololens-Brille involvieren, während wir ein Angebot für unsere Fahrgäste entwickeln, die mit dem Smartphone funktionieren muss.

Wie geht es weiter, wenn der Prototyp für gut befunden wird?

Zuerst stünde dann eine Verfeinerung der Technik auf dem Programm, um sicherzustellen, dass wir mit ARNa wirklich ein Kundenproblem lösen. Erst wenn das gegeben ist, können wir ein Pilotprojekt konzipieren, das eine Integration von ARNa in eine bestehende Plattform voraussetzen würde.

 

Mehr zum Thema:
Neue Wege der Fahrgastnavigation erleben

Mehr zur Technologie:Bitforge Technologie-Report: Augmented Reality Navigation 2021

Artikel teilen:

Wir verwenden Cookies, um Ihnen den bestmöglichen Service zu gewährleisten. Durch die weitere Nutzung der Website stimmen Sie unserer Datenschutzerklärung zu.
Mehr erfahren