Verdeckte Ermittler und hitzig kalte Busse

Wie ist es eigentlich, täglich Fragen, Reklamationen und Lob rund um den ÖV entgegenzunehmen? Wir haben mit Moritz Friedländer vom ZVV-Contact über paradoxe Anfragen, emotionale Momente und die Sonnen- und Schattenseiten der Arbeit im Kundendienst gesprochen.

Die Réception einer Firma ist sinnbildlich der Kundendienst, auch wenn diesem statt der Livree das Headset als Erkennungsmerkmal dient. Dort «werden Sie geholfen» (wie einst eine deutsche TV-Moderatorin für einen Auskunftsdienst warb), machen je nach Gemütszustand Ihrem Ärger Luft oder platzieren Ihr Lob. Im öffentlichen Verkehr des Kantons Zürich nennt sich dieser Kundendienst «ZVV-Contact».

Während manch ein Unternehmen seine erste Auskunftsstelle durch virtuelle Mitarbeiter, sogenannte Bots ersetzt hat, sitzen im Kundendienst des ZVV und der VBZ noch Menschen aus Fleisch und Blut. Ob sie ihre Arbeit ordentlich erledigen, prüft nicht nur das kritische Auge des Chefs. Vergangenen Herbst haben ihnen auch sogenannte «Mystery Shopper» auf den Zahn gefühlt. Es handelt sich dabei gewissermassen um verdeckt operierende Mitarbeitende einer Firma, deren Aufgabe es ist, die Qualität von Dienstleistungsangeboten zu testen und dem Auftraggeber – in diesem Fall dem ZVV – Bericht zu erstatten. Das Resultat lässt sich sehen: 91.61 von maximal 100 Punkten haben die «Undercover-Kunden» dem ZVV-Contact attestiert, vor allem auch wegen der Lösungsorientierung, die das Team um über fünf Punkte steigern konnte.

Diese Leistung hat uns neugierig gemacht. Wir haben deshalb mit Moritz Friedländer, der seit Herbst 2019 zum Team des ZVV-Contact gehört, über die Höhen und Tiefen seiner Arbeit gesprochen.

30 Sekunden sind zuviel!

Wenn man einen kleinen Jungen fragt, was er mal werden möchte, gehört «Ich will zum Kundendienst!» wohl zu den eher seltenen Antworten. Wie also kommt man zu so einem Job? «Wichtig ist vor allen Dingen ein tiefes Wissen über den ÖV» erklärt Moritz Friedländer. Er hatte im Jahr 2019 seine Lehre als «Kaufmann öffentlicher Verkehr» bei der SBB abgeschlossen. Der Frischling im Team trug zum positiven Resultat der Testkundenerhebung nicht unerheblich bei, da besonders viele der «Mystery Shopper» bei ihm landeten. «Es war schon sehr cool, bestätigt zu bekommen, dass wir auf dem richtigen Weg sind und ich meinen Beitrag leisten konnte», freut er sich mit hörbarem Stolz.

Während seiner Lehre fand er sich in den unterschiedlichsten kaufmännischen Rollen im Zusammenhang mit dem öffentlichen Verkehr wieder. Zum Beispiel am Bahnschalter. «Auch beim ZVV-Contact möchten die meisten Kunden Auskunft zu Tickets und Tarifen. Es ist sehr wichtig, dass wir in dieser Thematik sattelfest sind», verrät Friedländer und meint, er sei froh, dieses Wissens frisch ab Lehre mitzubringen.

In der Hitparade der Anliegen kommen nach den Tarifen bald einmal die Beschwerden. Friedländer weiss, was den Zürcher Fahrgästen Kummer bereitet: Verspätungen oder gar Ausfälle. «Gut, manche rufen schon an, wenn der Bus erst 30 Sekunden Verspätung hat», scherzt der 20-jährige und lacht. Es ist ein offenes, herzliches Lachen – man ahnt, warum er bei den Bewertungen so gut abgeschnitten hat. Dann wird er wieder ernst, meint, er habe schon den Eindruck, im Vergleich zu Anfang 2020 würden sich mehr Fahrgäste über Banalitäten ärgern – vielleicht auch eine Folge der Dauerreizung durch die Umstände rund um Corona.

Jeder Mensch ist anders, und manchmal geht auch ein Kind vergessen

An manchen Tagen erlebt der einfühlsame ÖV-Spezialist mit seinen Kunden die ganze Klaviatur an Emotionen. Zum Beispiel mit jenem Elternpaar, das den Kinderwagen mitsamt Smartphones, Portemonnaies und – last but not least – dem Kind im Tram vergessen hatten. «Das war vielleicht eine Aufregung! Wir haben dann über die Leitstelle Kontakt mit dem Chauffeur aufgenommen – zum Glück gab es ein Happy End», schmunzelt er spitzbübisch.

Bisweilen sind aber auch paradoxe Aufgaben zu lösen. Vergangenen Oktober, erzählt Friedländer amüsiert, habe sich eine Kundin echauffiert, es sei viel zu kalt in den Bussen: Man solle endlich die Heizungen aufdrehen! «Zehn Minuten später – ich war schon mit der Fachabteilung in Abklärung – erhielt ich die Mail einer anderen Kundin, die fragte, was denn mit uns los sei, ob wir noch nie etwas von Klimaschutz gehört hätten. Es sei viel zu heiss in den Bussen, man solle endlich die Heizungen zudrehen!»

Bei allem Humor – ist es für Lehrabgänger nicht eine harte Schule, wenn ihnen zum Auftakt der Berufskarriere gleich mal der raue Wind emotional gefärbter Beschwerden um die Ohren pfeift? «Ich wurde am Bewerbungsgespräch vorgewarnt, dass wir mit einer gewissen Negativität konfrontiert sein und Aggressionen direkt zu spüren bekommen würden», blickt der Stadtzürcher zurück. Am Anfang sei es ihm schwergefallen, die Arbeit nicht «nach Hause zu nehmen». Manche Erlebnisse hätten regelrecht an ihm genagt. «Nach einiger Zeit habe ich gelernt, mich nicht persönlich gemeint zu fühlen. Ich tue für die Kunden, was immer möglich ist, manches aber lässt sich nicht ändern. Auch Beschimpfungen halte ich unterdessen aus.» Die meisten Kunden, meint er, seien ohnehin freundlich.

Reklamationen als Wachstumschance

Der junge Berufseinsteiger hat inzwischen aus der Not eine Tugend gemacht. Er versucht, nicht nur über Beleidigungen erhaben zu sein, sondern daraus fürs Leben zu lernen. Klingt irgendwie komisch? «Es kann durchaus eine schöne Herausforderung zu sein, zu spüren, was es braucht, damit sich aufgebrachte Kunden beruhigen und man mit Respekt zu einem Konsens kommt. Das gibt mir sehr viel», meint Friedländer, und man ist versucht, einen Zusammenhang zwischen seinem Namen und seinem Naturell herzustellen. Dennoch, meint er, wäre es schön, wenn sich mehr Kunden bewusst wären, dass der Mitarbeiter am Telefon keine Schuld am Problem trage.

Natürlich bietet der Job beim ZVV-Contact ebenso viele angenehme Seiten. «Manche Stammkunden melden sich regelmässig, man kennt und freut sich, einander zu hören», erklärt der ÖV-Experte. Auch wer in Tram und Bus etwas verloren hat, ist froh, wenn sein Hab und Gut «gerettet» werden konnte –  da kommt das Dankeschön aus tiefster Seele. Wenn ein Problem, das am Anfang unüberwindbar erschien, sich doch noch lösen lasse, sei das natürlich auch für die Mitarbeitenden des Kundendienstes eine schöne Erfahrung. Erst recht, wenn es – als Tüpfelchen auf dem «i» – dafür ein Lob gibt.

Der 20-jährige Moritz Friedländer fühlt sich beim Kundendienst ZVV-Contact gut aufgehoben. (Bild: VBZ)

Friedländer, der es in der Freizeit nach 13 Jahren Pfadi zum Abteilungsleiter gebracht hat,  begreift seinen Job als Chance zum Wachstum. «Ich kann hier meine Sozialkompetenzen ausbauen. Und natürlich das Verständnis, wie der öffentliche Verkehr funktioniert, wer mit welchen Ressourcen und Fähigkeiten dazu beiträgt. Es gibt Berufe bei den VBZ, von denen habe ich vorher noch nie gehört», meint er begeistert. Der Austausch mit Fachstellen, die Antworten auf all die Fragen liefern müssen, ist Teil des Jobs. Zu seinem Lernprozess gehöre auch, dass er einige Wörter bereits aus seinem Wortschatz gestrichen habe. «Billig» zum Beispiel. Auch der Konjunktiv verschwinde allmählich. Eine Folge der Lösungsorientierung, möchte man mutmassen… Besonders wichtig sei jedoch der Zusammenhalt im Team. «Das bedeutet auch, dass man sich austauscht oder mal die Bedürfnisse der anderen über die eigenen stellen kann, etwa einem Diensttausch zustimmt.» Diese Harmonie mache es einfacher, auch anstrengende Tage mit Gelassenheit zu überstehen, meint er.

100 Tickets und nochmal so viele Anfragen

Es ist durchaus nicht so, dass die Mitarbeitenden des ZVV-Contact zwischen den einzelnen Anrufen Zeit für eine kurze Atemmeditation hätten. Der Alltag sei mitunter auch turbulent, erzählt der ÖV-Profi vergnügt, da heisse es etwa: «Kannst du mir noch rasch 100 Tickets für Firmenkunden ausdrucken», und nebst dem klingelnden Telefon, das noch vor den Mailanfragen oberste Priorität geniesst, habe er auch ein paar Projekte zu führen, namentlich die Integration neuer Angebote wie ZüriMobil, Pikmi oder der städtische Service «Zürich wie neu». Dazu kommen Anfragen und Kommentare auf den sozialen Medien und – ja, das gibt es noch – der maschinengetippte oder gar handgeschriebene Brief. «Und dann will obendrein noch jemand ein Interview mit mir», nimmt er die Schreibende aufs Korn.

Die erste Schicht im ZVV-Contact startet um 5.45 Uhr, die letzte endet um Mitternacht. Besonders viel sei zu Wochenbeginn los, meint Friedländer, und natürlich gibt es auch Zeiten, die turbulent sind. Während des Lockdowns etwa sei mit 400 Mails in der Warteschlange und acht Stunden Dauer-Telefonklingeln die Hölle los gewesen, aber auch der Fahrplanwechsel, Schneefall und andere Ereignisse lassen regelmässig die Drähte glühen.

Es ist also einiges los im ZVV-Contact. Die Frage, ob er wieder in diesen Beruf einsteigen würde, wenn er das Rad um zwei Jahre zurückdrehen könnte, kann Friedländer schwerlich mit «Nein» beantworten. Trotzdem kommt seine Antwort postwendend, schnell genug, um ohne jeden Zweifel aufrichtig zu sein: «Absolut, ich habe mich hier voll gefunden.»

 

Über den ZVV-Contact

Der ZVV-Contact nimmt jährlich rund 110000 Anrufe entgegen, beantwortet 55000 Mails und bearbeitet rund 55000 Anfragen zu Hilfestellungen für die Nutzung digitaler Kanäle sowie in den sozialen Medien. Unter der Telefonnummer 0848 988 988 erhalten Sie Auskunft über alle möglichen Fragen zum öffentlichen Verkehr im Kanton Zürich.

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