Von dickem Blut und EM-Fieber

Azemine Shaqiri ist gerade mal 1.60 Meter gross, sitzt aber seit 2008 als Busfahrerin bei den VBZ ganz vorne am Steuer, am liebsten im Trolleybus. Die 30-Jährige ist in der Schweiz aufgewachsen, im Herzen ist und bleibt sie stolze Albanerin und respektiert die Traditionen ihrer Kultur. Vor dem EM-Spiel Schweiz-Albanien trafen wir sie zum Gespräch.

Mit einem breiten Lachen sitzt mir die dynamische Frau gegenüber – top gestylt, perfekt geschminkte Lippen und von einem Hauch Parfum umgeben. Sie sprüht richtiggehend vor Lebensfreude und es ist ein Kinderspiel, ein Gespräch mit ihr zu beginnen. Ihr Deutsch ist lupenrein. Das sei einer der Gründe für die grosse Akzeptanz, die sie von ihren Mitbürgerinnen und Mitbürgern geniessen dürfe. Azemine fühlt sich in der Schweiz rundum wohl und schätzt die Offenheit unseres Landes gegenüber anderen Kulturen und Religionen.

Vieles hat die Busfahrerin auch ihrem Vater zu verdanken, der ihr trotz vorherrschenden Frauenbildern in der albanischen Kultur stets die volle Freiheit und Unterstützung zur Integration gelassen hat. Es sei nicht selbstverständlich, als albanische Frau mit 20 Jahren von zu Hause aus einem kleinen Kaff in St. Gallen wegziehen zu dürfen, um eigene Wege in der Limmatstadt zu beschreiten. Sie habe die schönste Kindheit erleben dürfen, hingegen habe ihr Vater früher für sie und ihre Schwestern auf Vieles verzichten müssen. Das werde sie ihm nie vergessen. «In albanischen Familien fliesst dickes Blut», das müsse man wissen. Auch haben Albanerinnen und Albaner Temperament. Azemine weiss, dass dies nicht immer nur ein positives Bild auf ihre Nationalität wirft. Sie erlebe hier in der Schweiz beide Seiten: Einerseits der vorhandene schlechte Ruf ihrer Landsleute, andererseits die Beliebtheit prominenter Albaner wie beispielsweise jene von National-Fussballspieler Xherdan Shaqiri, welcher aber leider nicht mit ihr verwandt sei. Auch sie sei früher temperamentvoller gewesen, doch sie sei bei den VBZ ruhiger geworden. Sobald die Busfahrerin in ihre Uniform schlüpfe, gebe sie alles dafür, ein seriöses Bild abzugeben. Auch bekomme sie in der Uniform sogar in Zürich regelmässig ein spontanes «Grüezi» auf der Strasse zugerufen, was als Privatperson selten bis gar nie der Fall sei. Diese Anonymität empfindet die Albanerin als Wehmutstropfen der Schweiz. «Wenn wir heute nicht einmal mehr einander guten Tag sagen, was wollen wir dann morgen von unseren Kindern erwarten?» Sie hat Recht.

Azemine Shaqiri ist eine Frau mit ehrlicher Meinung und starken Worten.

Ich möchte wissen, wie sie als junge Frau überhaupt auf die Idee gekommen sei, als Busfahrerin bei den VBZ einzusteigen. Als Verkäuferin am Flughafen wollte Azemine mehr, sie suchte eine grössere Herausforderung. «Mein Vater meinte, ich spinne jetzt total, als er von meiner Bewerbung bei den VBZ hörte». Und was später darauf folgte wird Azemine nie vergessen: Nach erfolgreich bestandener praktischer Fahrprüfung rief sie sogleich ihren Vater an. Dieser brach über die freudige Nachricht in Tränen aus. Seine jüngste Tochter soll tatsächlich Busfahrerin in der grossen Stadt Zürich werden. Diese Erinnerungen bewegen Azemine auch heute noch, so dass sie hier und jetzt immer noch die Tränen unterdrücken muss. «Er war und ist so stolz».

Die Tatsache, dass sie in einem von Männern dominierten Beruf tätig ist, nimmt Azemine mit grosser Leichtigkeit. Sie geniesse bei den VBZ die volle Akzeptanz. Auch seien Komplimente von Fahrgästen nicht selten, die ihr einen feinfühligeren Fahrstil als den männlichen Arbeitskollegen zuschreiben.

Und nun zum ursprünglichen Thema des Gesprächs: EM-Fieber und das bevorstehende Spiel Schweiz gegen Albanien. Doch Fussball ist weniger Azemine’s Ding. Nichtsdestotrotz hat sie sich ungemein über die Qualifikation von Albanien für die EM gefreut und sie werde die Spiele auch verfolgen. Für Albanien bedeute die Teilnahme viel, immerhin ist es das erste Mal überhaupt. Trotz der grossen Freude sei es manchmal aber auch schwierig, als Albanerin in der Schweiz offen zu gestehen, dass man in der Vorrunde auf der Seite von Albanien stehe. Die dynamische Frau wird sich aber nicht scheuen, ihre Landsleute kräftig anzufeuern, ob von zu Hause aus oder beim Public Viewing.

Die Zeit vergeht wie im Flug. Hätten wir mehr davon, würde ich bestimmt noch ganz viele angeregte Geschichten über diese spannende Person erfahren. Azemine Shaqiri ist eine Frau mit ehrlicher Meinung und starken Worten. Eine Frau, die ihre Mitmenschen an ihrer Leidenschaft fürs Leben und vor allem auch für ihren Beruf teilhaben lässt. Dafür danke ich ihr von ganzem Herzen.

Artikel teilen:

Wir verwenden Cookies, um Ihnen den bestmöglichen Service zu gewährleisten. Durch die weitere Nutzung der Website stimmen Sie unserer Datenschutzerklärung zu.
Mehr erfahren