«Wer nicht überrascht, wird nicht wahrgenommen»

Vor 20 Jahren stellten die VBZ zusammen mit der Werbeagentur Ruf Lanz die Weichen für die VBZ-Kampagne «Umsteigen lohnt sich», die bis heute erfolgreich läuft und über 150-mal ausgezeichnet worden ist. Wir haben uns dazu mit einem der kreativen Köpfe hinter der Kampagne unterhalten: Markus Ruf, Creative Director und Mitinhaber von Ruf Lanz.

Herr Ruf, wie sind Sie eigentlich zum Werber der VBZ geworden?

Es war 2001. Danielle Lanz und ich hatten gerade unsere eigene Agentur Ruf Lanz gegründet, nachdem wir 1999 und 2000 beide mit dem Titel «Werber des Jahres» ausgezeichnet worden waren. Nach einigen Wochen flatterte die Anfrage der VBZ herein für einen Pitch gegen zwei Grossagenturen: Wir als David gegen die Goliaths der Branche! Klar, dass wir gewinnen wollten, umso mehr, weil wir schon immer ÖV-Anhänger waren. Also haben wir Tag und Nacht gearbeitet. So entstand der Claim «Umsteigen lohnt sich» und die Strategie, Tram und Bus in Zürich als smarte Alternative zum motorisierten Individualverkehr zu positionieren. Nicht mit missionarischem Eifer, sondern überraschend, unterhaltsam und mit einem Augenzwinkern.

Erinnern Sie sich noch, wie der Pitch gegen die Goliaths der Branche ablief?

Eine der vor uns präsentierenden Agenturen reiste leichtsinnigerweise mit dem Auto an und kam prompt zu spät. Dadurch verspätete sich auch unsere Präsentation. Das Malheur der Konkurrenz nutzten wir natürlich gleich als Beweis für die Richtigkeit unserer Kampagne. Es waren Heinz Vögeli, damals Leiter der VBZ-Unternehmenskommunikation, sowie Ursi Gamper, damals Leiterin der VBZ-Marktkommunikation, welche das Potential als erste erkannten. Nach einigen Tagen bangen Wartens kriegten wir die Zusage.

Welches Sujet war in all den Jahren das schwierigste?

Vom Thema her wohl das Sujet gegen die Laserpointer-Angriffe: 2014 gab es vermehrt Blendattacken mit Laserpointern auf das VBZ-Fahrpersonal, die bös ins Auge gehen können. Wir präsentierten u. a. eine Online-Solidaritätsaktion der Fahrgäste mit den VBZ-Fahrerinnen und Fahrern. Denn wenn der VBZ-Chauffeur nichts mehr sieht, gefährdet dies alle Fahrgäste. Dadurch mussten es die hinterhältigen Täter nicht nur mit einer Person aufnehmen, sondern mit einem ganzen Tram oder Bus voll.

Auf welche Idee sind Sie besonders stolz?

Auf das Sujet «Mörgeli/Jositsch». Um die hohe Haltestellendichte in Zürich zu bewerben, zeigten wir zwei bekannte Zürcher Politiker, die garantiert nicht lange nebeneinander im Tram sitzen möchten: Christoph Mörgeli von der SVP und Daniel Jositsch von der SP. Dazu lautete die Schlagzeile: Zum Glück gibt’s in Zürich alle 300 Meter eine Haltestelle. Auf ein Honorar verzichteten übrigens beide. Dafür luden die VBZ sie zu einer Extrafahrt im historischen Apéro-Tram ein – getrennt, versteht sich.
Mit Vergnügen erinnere ich mich auch an den Live-Kinospot im Open-Air-Kino am See. Mitten im Werbeblock liessen wir eine Polizistenstimme aus dem Lautsprecher dröhnen, die einen Autolenker mit einem bestimmten Kennzeichen aufforderte, unverzüglich sein Auto im Halteverbot umzuparkieren. Ein im Publikum platzierter Mitarbeiter von Ruf Lanz eilte daraufhin aufgeregt zum Ausgang. Danach folgte zur allgemeinen Erheiterung die Auflösung: Umsteigen lohnt sich. Ihre VBZ Züri-Linie.

Welche Kampagne hat das grösste Echo ausgelöst?

Natürlich die Kampagne «Mörgeli/Jositsch» – von Blick bis NZZ, von TeleZüri bis SRG griffen alle das ungleiche Duo im Tram auf. Wir haben den Erfolg noch verlängert mit einer Facebook-App, mit der das Publikum selber gegensätzliche Paare ins Tram setzen konnte. So entstanden Hunderte neuer Sujets, welche die Botschaft online verbreiteten. Unter anderem Roger Schawinski neben Roger Köppel, Moritz Leuenberger neben Christoph Blocher, Thomas Borer neben Ex-Frau Shawne Fielding, usw. Aber auch viele andere VBZ-Auftritte wirkten weit über den bezahlten Werberaum hinaus. Zum Beispiel das Sujet mit den attraktiven VBZ-Chauffeuren und der Schlagzeile: Liebe Frauen, es gibt noch Männer, die pünktlich sind, galant die Tür aufmachen und euch nach dem Aufgang unaufdringlich nach Hause bringen. Das Tagblatt der Stadt Zürich widmete ihnen am nächsten Tag die Frontseite und titelte: „Vier VBZ-Chauffeure bringen Zürcherinnen um den Verstand.“ Der schönste der drei musste danach eine Zeit lang mit Mütze herumfahren, um unerkannt zu bleiben – so oft wurde er angesprochen.

«Viele der VBZ-Auftritte wirkten weit über den bezahlten Werberaum hinaus.»

Gibt es auch einen «Schämer» … oder zumindest etwas, das Sie heute ganz anders lösen würden?

Für Aufregung sorgte der Film mit den südamerikanischen Strassenmusikern im Tram, die irrwitzig schnell «La cucaracha» spielten, weil es nur 300 Meter bis zur nächsten Haltestelle sind. Kaum war er ausgestrahlt, protestierte die mexikanische Botschaft. Trotzdem bedauern wir den frechen Film nicht, weil diese Strassenmusiker damals zum Zürcher Stadtbild gehörten. Und das Publikum hat den Spot geliebt, wie die Reaktionen im Kino zeigten.

Woran merken Sie, dass eine Idee die richtige ist?

Dafür entwickelt man mit der Zeit einen Riecher. Ähnlich wie ein Trüffelschwein. Entscheidend ist, dass man nicht aufhört, tiefer zu graben, bis man den Trüffel bzw. die beste Idee gefunden hat. Beide liegen leider selten an der Oberfläche herum.

Überhaupt: Was zeichnet die gelungene VBZ-Werbung von Ruf Lanz aus?

Die VBZ-Kampagne ist eine sogenannte Einzelmotiv-Kampagne. Das ist eine ziemlich masochistische Kampagnenform, weil man jedes Mal einen neuen, überraschenden Einfall braucht. Für jedes Plakat, für jeden Film, für jede Online-Aktion. Aber dadurch bleibt die Kampagne stets am Puls der Zeit und erneuert sich laufend. Für den Zusammenhalt sorgt die klare Haltung «Umsteigen lohnt sich» sowie das unverwechselbare Erscheinungsbild, das wir ganz aus dem Produkt heraus entwickelt haben: Das blaue Blech von Tram und Bus bildet den roten bzw. blauen Faden.

Eine über 20-jährige Werbe-Partnerschaft Ruf Lanz & VBZ, das ist ja irgendwie verrückt. Gab es auch Ehekrisen? Oder wie haben Sie es geschafft, in dieser Beziehung Ermüdungserscheinungen zu verhindern?

Drei Dinge schützten bisher vor Ehekrisen: 1. Wenig Routine, weil immer wieder neue spannende Themen auf den Tisch kommen. 2. Inspirierende Partnerinnen und Partner, wie früher Heinz Vögeli, Jörg Buckmann, Ursi Gamper und heute Silvia Behofsits und ihr Team. 3. Unser Agentur-Leitsatz: Wer sich auf seinen Lorbeeren ausruht, trägt sie an der falschen Stelle.

Warum gibt es eigentlich nicht mehr gute Werbung in der Schweiz bzw. woran scheitern gute Ideen in der Praxis?

An zu grossen Gremien, an Absicherungsmentalität, an internen Umfragen, an Pretests, kurz: an zu viel Demokratie. Je grösser die Gruppe der Leute ist, die vorab um ihre Meinung gefragt werden, desto weniger Ecken und Kanten hat am Ende das Resultat.

Gibt es eine Idee, die Sie schon immer umsetzen wollten und eigentlich bis heute gern umsetzen würden, die aber von den VBZ abgelehnt wurde?

Von den vielen Vorschlägen, die wir präsentieren, bleiben immer welche auf der Strecke – das ist normal in der Auftragskunst. Nur ein Beispiel: Vor einigen Jahren ist uns aufgefallen, dass viele Automarken auch Parfüm herstellen; Jaguar, Mercedes-Benz, Mustang, Ferrari, Porsche, usw. Diese bildeten wir schick ab und schrieben sinngemäss dazu: Auch Autohersteller können dazu beitragen, dass die Luft in Zürich gut riecht. War kreativ spannend, aber markenrechtlich zu heikel. Dafür haben wir nach dem VW-Abgasskandal rasch reagiert und das Tram beworben als «Der Volkswagen, der jeden Umwelttest mit Bravour besteht». Dieses Sujet durfte erscheinen und hat für grosses Aufsehen gesorgt.

Die ganze Menschheit schaut immer und überall auf den Smartphone-Bildschirm – wieso ist Plakatwerbung im Tram und Bus gleichwohl noch immer genauso wichtig wie vor 20 Jahren?

Gute Plakate – nicht nur jene in Tram und Bus – haben auch im digitalen Zeitalter nichts von ihrer Kraft eingebüsst. Im Gegenteil: Als prägnantes Statement im öffentlichen Raum verleihen sie Marken gerade in der heutigen zersplitterten Medienwelt Format und Relevanz. Das haben interessanterweise auch Unternehmen erkannt, die vom Onlinehandel leben. Die Plakatkampagnen von Digitec und Galaxus sind gute Beispiele dafür. Auch Apple setzt für die Lancierung ihrer neuen iPhones auf die Kraft von Plakaten.

«Gute Plakate haben auch im digitalen Zeitalter nichts von ihrer Kraft eingebüsst.»

Gleich die Anschlussfrage: Wie sieht die Tram- und Buswerbung der Zukunft aus?

Ich glaube, die Kreativität gewinnt noch an Bedeutung. Wir leben in einer Welt der permanenten Reizüberflutung. Wer seine Botschaft in diesem «War of Eyeballs» nicht kreativ überraschend vermittelt, wird längst nicht mehr wahrgenommen. Ein Schicksal, das wir den VBZ und unseren anderen Kunden weiterhin ersparen möchten.

2020/21 waren die Jahre der Corona-Pandemie. Haben Sie in diesem Jahr für die VBZ anders kommuniziert?

Natürlich kommunizierten wir andere Botschaften, aber auch diese möglichst unerwartet. So haben wir z. B. die Farben der abgesagten Zurich Pride trotzdem auf die Strassen gebracht mit den passenden VBZ-Linien und uns damit zu einem toleranten, bunten Zürich bekannt. In Zeiten der Verunsicherung wird die Haltung einer Marke noch wichtiger. Die Menschen wollen wissen, wofür sie steht und welchen Beitrag sie für die Gesellschaft leistet. Hier sind die VBZ als umweltschonendes ÖV-Unternehmen, das Menschen verbindet, glaubwürdig positioniert.

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