«Wir müssen die Innenstadt entlasten»

Oerlikon und Altstetten, die neuen Stadtzentren der Zukunft: Frank Argast. Leiter Raumentwicklung und Planung beim Amt für Städtebau, gibt Auskunft, wie das Zielbild für Zürich aussieht und worauf es bei der Entwicklung der neuen Stadtzentren ankommt.

Wie sieht der ÖV der Zukunft aus? Dieser Frage sind die VBZ und ihre Partner mit Hilfe der Bevölkerung nachgegangen, jetzt liegt das «Zukunftsbild ÖV 2050» vor. Der ÖV ist jedoch nur ein Aspekt des grossen Ganzen, und so stellt sich die noch wichtigere Frage, wie das Zürich der Zukunft insgesamt aussehen wird. Eine der Antworten darauf lautet: Es wird zwei neue Stadtzentren geben, nämlich Altstetten und Oerlikon. Wir haben mit Frank Argast, Leiter Raumentwicklung und Planung beim Amt für Städtebau Zürich, darüber gesprochen.

Im Zukunftsbild ÖV 2050 stellen die VBZ Oerlikon und Altstetten als neue Stadtzentren vor. Wie waren Sie in diesen Prozess involviert?

Ich war als Vertretung für das Amt für Städtebau in der Begleitgruppe des Projekts. Dies mit der Aufgabe, das «Zielbild Zürich 2040» einzubringen.

Worum geht es bei diesem Zielbild?

Bevor das Projekt zur Definition des Zukunftsbild ÖV 2050 von den VBZ initiiert wurde, hat die Stadt Zürich bereits mehrere Jahre lang intensiv am kommunalen Richtplan Siedlung, Landschaft, öffentliche Bauten und Anlagen gearbeitet und in diesem Zusammenhang überlegt, wie sich das wachsende Zürich während eines Zeithorizonts bis 2040 entwickeln dürfte. Man geht von einem Wachstum von 25 Prozent aus, das sind 100’000 Personen mehr in der Stadt. In diesem Zielbild haben wir nun die zukünftige erwünschte Stadtstruktur abgebildet.

Was zeigt diese Struktur?

Darin werden Gebiete sichtbar, die sich stark oder auch weniger stark entwickeln. Weiter hat die Stadt Zürich sich Gedanken dazu gemacht, was gefördert werden soll, welches inskünftig die wichtigen Stadtteile sein werden und wo Quartierzentren entstehen.

Und dieses Zielbild hat natürlich auch Einfluss auf den ÖV der Zukunft…

Das Zielbild dieser Stadtentwicklung beziehungsweise der kommunale Richtplan, über den im November ja abgestimmt wird, waren in der Tat wichtige Grundlagen für die Erarbeitung einer Vision vom zukünftigen ÖV.

Hätte eine Ablehnung des kommunalen Richtplans somit auch Einfluss auf das Zukunftsbild ÖV 2050?

Sollte dies der Fall sein, müsste man natürlich prüfen, was das im Detail bedeutet. Es ist allerdings unabhängig von der Annahme oder Ablehnung des kommunalen Richtplans eher schwer vorstellbar, dass sich die Stadt in eine andere Richtung entwickeln könnte. Wir beginnen ja nicht auf der grünen Wiese. Worauf man aufbaut und wie sich Zürich weiterentwickelt, ist gewissermassen in der «DNA» der Stadt bereits festgelegt.

Nun stehen Altstetten und Oerlikon als neue Stadtzentren im Fokus. Worin unterscheidet sich so ein Stadtzentrum von einem normalen Quartier?

Dazu sollte man nicht so sehr das Quartier als Ganzes mit einem «Stadtzentrum» vergleichen, sondern vielmehr das Zentrum des jeweiligen Quartiers. Bei einem normalen Quartierzentrum, wie es beispielsweise in Schwamendingen oder Witikon existiert, handelt es sich zumeist um den alten Dorfkern mit Kirche, einem Kreisbüro vielleicht, Läden, Restaurants und so weiter. Das Zentrum ist also wichtig für das Quartier, jedoch strahlt es nicht darüber hinaus. Altstetten und Oerlikon hingegen haben eine weitergehende Bedeutung. Zudem handelt es sich dabei um wichtige Verkehrsknotenpunkte. Die beiden Bahnhöfe sind mehr als Bahnhöfe. Sie dienen heute schon als Treffpunkte und bieten verschiedene Einkaufsmöglichkeiten.

Die Bedeutung eines Stadtzentrums wirkt sich also auf die gesamte Stadt aus?

Ja, es zeichnet sich auch durch Institutionen und Einrichtungen aus, die über das Quartier hinaus von allgemeinem Interesse sind. In Oerlikon sind dies beispielsweise die Messe, das Hallenstadion oder das neue Sportzentrum, in Neu-Oerlikon die Halle 550, welche Menschen aus der ganzen Stadt und der Region anziehen. In Altstetten zeichnen sich diesbezüglich erste Ansätze ab, mit dem Spirgarten am Lindenplatz etwa oder den Angeboten rund um den Vulkanplatz.

In Oerlikon ist die Entwicklung zum Stadtzentrum schon sehr weit fortgeschritten, zumindest was den ÖV anbelangt.

Richtig, in Oerlikon ist vieles praktisch abgeschlossen, während in Altstetten nun die Integration der Stadtbahn erfolgt. Längerfristig gibt es in Altstetten ÖV-mässig noch einen grösseren Spielraum. Aber auch in Oerlikon kommt die Entwicklung in eine neue Phase. Das Quartier Neu-Oerlikon hat sich aus einer Planung aus den Nullerjahren heraus entwickelt. Dazu hat auch massgeblich der Ausbau des Bahnhofs zu einer Attraktivitätssteigerung beigetragen. Daraufhin hat man das Quartier neu durchdacht, rund um den Max-Frisch-Platz stehen jetzt eine Erneuerung und eine Verdichtung mit Hochhäusern bevor.

«Eine Stadt von der Grösse Zürichs braucht mehrere Zentren.»

Wozu braucht eine Stadt überhaupt weitere Stadtzentren?

Eine Stadt in der Grösse Zürichs braucht mehrere Zentren. Die Funktion dieser Nebenzentren ist es, zu vermeiden, dass sich alles auf den historischen Kern konzentriert. Wir müssen die Innenstadt entlasten. Momentan läuft in Zürich ja ein Grossteil des Verkehrs über dieses Stadtzentrum. Man muss die Nutzungen besser verteilen und so auch die Wege verkürzen.

Gibt es noch andere mögliche Orte, an denen neue Stadtzentren entstehen könnten?

Wenn man den öffentlichen Verkehr als Schlüsselfaktor betrachtet, beschränkt sich das Potenzial tatsächlich auf Oerlikon und Altstetten. Es gibt zwar noch andere wichtige Bahnhöfe innerhalb von Zürich. Diese befinden sich jedoch in der Innenstadt, so wie der Bahnhof Stadelhofen beispielsweise, und haben auch nicht dieselbe Bedeutung. Dass dies so ist, hat auch einen geschichtlichen Hintergrund, Oerlikon und Altstetten waren schon vorher wichtige Orte.

Sie erwähnen die Bahnhöfe. Ein wachsendes Gebiet braucht vermehrt Anschluss an den ÖV und vice versa, mit besseren Anschlüssen an den ÖV wächst das Gebiet noch mehr …

Der ÖV stellt tatsächlich eine wichtige Voraussetzung dar, damit sich ein Gebiet entwickeln kann. Das ist teilweise bereits geschehen. Jetzt kommen wir aber in eine neue, verstärkte Planungsphase, in der es darum geht, die bauliche Verdichtung in diesen Gebieten zu begleiten.

Wie viel Potenzial haben Altstetten und Oerlikon überhaupt noch zum Wachsen?

Gemäss kommunalem Richtplan gehen wir von einem möglichen Bevölkerungswachstum im Westen (Altstetten, Sihlfeld, Albisrieden) von rund 20’000 und im Norden (Kreise 11 und 12) von rund 50’000 Personen aus.

Die neuen Stadtzentren sollen mit einem ÖV-Ringsystem verbunden werden. Was für Vorteile bringt das aus Ihrer Sicht?

Es handelt sich bei solchen ringförmig angelegten ÖV-Strecken um eine Entwicklung, die andere europäische Städte wie Wien oder Paris mit der Metro schon vor Jahrzehnten umgesetzt haben. Wie gesagt geht es vor allem um die Entlastung der Innenstadt, aber auch um eine bessere Vernetzung der Nebenzentren. Heutzutage ist es leider so, dass man mit dem Auto in der Regel schneller von Altstetten nach Oerlikon kommt als mit dem ÖV. Ich glaube, dieser Schritt ins tangentiale System lohnt sich dort, wo sich Zentren stärker entwickeln und es mehr öffentliche Infrastruktur, Anwohnerinnen und Anwohner sowie Arbeitsplätze gibt.

Wo in der Region wächst Zürich sonst noch?

Als Stadt sind wir ja nur ein Teil des Grossraums Zürich. Der Kanton geht davon aus, dass der Raum Zürich bis 2040 um etwa 300’000 Leute wächst, und gibt vor, dass diese Entwicklung primär im städtischen Umfeld stattfinden wird. Sehr viele Entwicklungsmöglichkeiten gibt es dabei im Limmattal und im Glatttal, aber auch in Winterthur und Umgebung oder Uster. Die Seeufer haben etwas weniger Potenzial, obschon auch der Zimmerberg eine starke Wachstumsregion ist, während der Pfannenstiel eher bescheidene Ziele und Potenziale hat.

Also werden auch angrenzende ausserstädtische Gebiete in eine erweiterte Planung miteinbezogen?

Selbstverständlich, unser Lebens- und Wirtschaftsraum macht an den Stadtgrenzen nicht Halt. Insofern ist klar, dass man das ÖV-System mindestens im Perimeter Limmattal und Glatttal mitdenken muss. Mit der Glattal- und Limmattalbahn wurde das bereits intensiv gemacht. Diese Entwicklung wird in den nächsten Schritten wohl noch intensiviert und durch den ZVV gefördert.

Welche Faktoren sind Ihnen als Raumplaner bei der Umsetzung dieser Städtezentren besonders wichtig?

Mein persönlicher Wunsch sieht so aus, dass sich beide Zentren zu starken, eigenständigen Stadtteilen entwickeln, damit sie aus dem Schatten der Innenstadt heraustreten und eine gewisse Wichtigkeit erhalten. Beispielsweise hatte Oerlikon früher Kinos. Dann wurde die Konkurrenz in der Innenstadt oder durch Kinokomplexe in der Agglomeration zu gross. Es wäre schön, wenn solche Nutzungen wieder Einzug halten könnten.

«Es ist wichtig, dass besonders die Entwicklung des öffentlichen Raumes integral vorgenommen wird.»

Und auf der planerischen Ebene?

Es ist wichtig, dass besonders die Entwicklung des öffentlichen Raumes integral vorgenommen wird, also dass die verschiedenen involvierten Parteien Hand in Hand arbeiten. Die Chance beim Ausbau des ÖV ist ja immer auch diese, den Strassenraum mitzugestalten, Verbesserungen herbeizuführen. Das ist essenziell. Gerade weil solche Zentren für viele Menschen eine wichtige Rolle spielen, würde ich mir vorstellen, dass man eine zukünftige Quartierentwicklung nicht «top down» umsetzt, sondern die Quartiere miteinbezieht.

 In welcher Form?

Affoltern ist in dieser Hinsicht eine Erfolgsgeschichte. Da wurde eng mit dem Quartier zusammengearbeitet, auch bezüglich der Integration der Tramstation am Zehntenhausplatz, die jetzt in Planung ist. Hier ist beispielhaft zu sehen, wie die verschiedenen Akteure gemeinsam die Eckpunkte für eine zukünftige Entwicklung festlegen können. So sollte das auch in Oerlikon und Altstetten geschehen.

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Weitere Informationen mit Übersichtskarte unter vbz2050.ch

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