Wir sind Papst!

Was die täglich 900 000 VBZ-Fahrgäste und der Pontifex Maximus gemeinsam haben.

In einem Gespräch zweier aufgeweckter Zürcher Primarschüler auf einem Pausenplatz im Kreis vier würde es wohl so klingen – Junge 1: «Hey Alte, dä Papscht, kennsch?» Junge 2: «Meinsch dä alti Typ da im Süde, wo immer so schrägi Chappe uf em Chopf hät?» Junge 1: «Yeah Mann.» Junge 2: «Was isch mit dem, yo?» Junge 1: «Geile Siech, Mann!» Junge 2: «Eh scho.»

Ich, schon etwas älter und deshalb weniger keck drauflosplaudernd, würde dasselbe Lob ein wenig anders formulieren. Vielleicht ungefähr so: Jorge Mario Bergolio, auch bekannt als Papst Franziskus, ist in meinen Augen trotz seiner bescheidenen Länge von 1,75 Zentimeter ein grosser, ja gar ein sehr grosser Mann (und das bekenne ich, obwohl in meiner Steuererklärung bei «Konfession» schwarz auf weiss «reformiert» steht – weshalb ich religionsfaktisch eigentlich gar nicht der Herde des Oberhirten angehöre).

Er tanzt Tango und ist Fussball-Fan

Nun ist gross natürlich immer eine relative Grösse (aus der Sicht einer Ameise ist wohl bereits ein Kieselstein ziemlich gross, in den Augen eines Elefanten dagegen ist er bestimmt winzig), deshalb will ich es präzisieren: Ich finde Papst Franziskus gross, weil ich sein engagiertes und vielseitiges Tun und Lassen nicht als Aktionismus, sondern als Realismus einstufe; weil ich in seiner offenbarten Demut kein gewieftes Schauspiel, sondern eine gelebte Haltung zu erkennen glaube.

Zudem, um wieder ein bisschen irdischer zu argumentieren, find ich es echt toll, dass er gerne und saugut kocht (nicht nur Schinken und Würste), dass er Tango tanzen kann (sein hüftsteifer Vorgänger wäre wohl schon beim Walzer ins Stolpern geraten), dass er Anhänger und Mitglied (Nr. 88’235) des argentinischen Fussballclubs CA San Lorenzo ist (obwohl ich die Boca Juniors bevorzuge), die Schriftsteller Borges und Dostojewski und die neorealistischen Werke der italienischen Regisseure Rossellini, Visconti und Zampa mag . . . dass er auch die Oper vergöttert (wenn man das bei seinem Job überhaupt so sagen darf) verstehe ich zwar weniger, aber hey, who’s perfect?

Klar kann man nun an dieser Stelle denken: Weshalb outet sich der, der hier schreibt, gerade jetzt als Franziskus-Fan? All dieses Zeugs ist ja nicht wirklich neu, das meiste war gar bereits bei der «Habemus papam!»-Verkündung am 13. März 2013 bekannt. Stimmt, das ist richtig.

Der Pontifex ist ein Grüner

Dennoch gibt es natürlich einen guten Grund, dass ich mich hier und heute bekenne. Mir ist nämlich ein Papier der deutschen Vereinigung «Allianz pro Schiene» in die Finger geraten (nicht, dass ich dort Member wäre oder so, es war reiner Zufall). Und bei der Lektüre erfuhr ich dann, dass der Papst kürzlich (es war bereits am 18. Juni, doch auf die ganze Menschheitsgeschichte gemünzt, ist der Gebrauch von «kürzlich» sicher statthaft) eine Umwelt-Enzyklia namens «Laudato si» veröffentlicht hat. Das klang spannend, weil sich Päpste ja generell eher mit dem moralisch-religiösen als mit dem ökologischen Zustand des Planeten beschäftigen. Also fuhr ich mit der Lektüre fort, und siehe da: Der Papst sprach sich deutsch und deutlich für die Förderung des öffentlichen Verkehrs aus!

Wörtlich liess er in Abschnitt 153 verlauten: «Die Lebensqualität in den Städten hat viel mit den Verkehrsverhältnissen zu tun, die oft Grund für grosse Leiden der Bewohner sind. In den Städten fahren viele Autos umher, mit nur einem oder zwei Insassen. Dadurch wird der Verkehrsfluss erschwert, der Grad der Verschmutzung ist hoch, es werden enorme Mengen von nicht erneuerbarer Energie verbraucht, und es wird notwendig, weitere Autobahnen und Parkplätze zu bauen, die das städtische Gefüge beeinträchtigen. Viele Fachleute stimmen darin überein, dass man den öffentlichen Verkehrsmitteln den Vorrang geben muss.»

Als würde Jagger ein Bauernhaus retten wollen

Wenn ein solch explizites Votum von einem Umwelt-Aktivisten oder einem ÖV-Experten der ETH kommt – nachvollziehbar. Aber hey, das war der Papst himself, der das schrieb! Das wäre in etwa so, wie wenn sich statt des Schweizer Heimatschutzes plötzlich Mick Jagger und Keith Richards aus freien Stücken für die Rettung eines alten Emmentaler Bauernhauses einsetzen würden. . . wobei sich bei den nicht ganz unbescholtenen Altrockern wohl früher oder später doch die Frage der Glaubwürdigkeit stellen würde.

Dies ist bei Franziskus nicht der Fall. Er ist keiner jener Geistlichen, die Wasser predigen, aber doch lieber Wein süffeln – wie man weiss (und wie Fotos belegen), steigt der 78-jährige Argentinier tatsächlich lieber in einen öffentlichen Bus als ins Papa-Mobil oder in eine vatikanische Luxus-Limousine.

Obwohl ich weder offiziell noch inoffiziell für die Werbebranche tätig bin, hatte ich dann unversehens einen glaub ziemlich genialen Geistesblitz. Ich dachte nämlich: Hey, wie wärs, wenn man nochmals die berühmt gewordene Schlagzeile der «Bild»-Zeitung hervorholen würde (sie wurde am 20. April 2005 publiziert, nach der Wahl des deutschen Kardinals Joseph Ratzinger zum Pontifex), und aus Sicht der täglich rund 900 000 VBZ-Fahrgäste frisch heraus verkünden würde: «Wir sind Papst!»

Hat was, nicht? Falls Ruf Lanz oder sonst eine Werbeagentur die Idee aufnehmen und umsetzen möchte, ist das okay – unter der Voraussetzung, dass man die Entschädigung, die mir dafür zustehen würde, einer gemeinnützigen grünen Organisation zukommen lässt. Mässi.

Artikel teilen:

Wir verwenden Cookies, um Ihnen den bestmöglichen Service zu gewährleisten. Durch die weitere Nutzung der Website stimmen Sie unserer Datenschutzerklärung zu.
Mehr erfahren