Zwanzig Minuten am Bellevue

Zehn Vorschläge, wie Sie im Dezember die Wartezeit am Bellevue verbringen. Während Ihre Kids ein Rendez-vous mit dem Samichlaus haben, beispielsweise.

Soeben haben Sie Ihre lieben Kleinen in einem kleinen, roten Tram abgeliefert, wo diese nun andächtig an den Lippen zweier Engel hängen. Sie indes haben keinen Zutritt und stehen jetzt vor der Frage: Wie verbringen Sie unterdessen eine himmlische Zeit? Die Fahrt dauert nämlich gerade mal 20 Minuten. Natürlich können Sie ganz einfach an der Tramhaltestelle am Bellevue stehenbleiben und warten, bis die Füsse am Boden festgefroren sind. Langweilig? Wir haben hier zehn Vorschläge für zwanzig grandiose Minuten:

  1. Sie überqueren die Kreuzung in Richtung See, wo Sie stehenbleiben. Atmen Sie tiiiiiiiiiiiiief ein, langsam wieder aus, und mit dem nächsten Atemzug beobachten Sie, wie die Herzbaracke… nein, nein, nicht was Sie denken! Also, beobachten Sie, wie die Herzbaracke, dieses putzige Hausboot, sanft auf den Wellen schaukelt. Wenn Sie sich nun entschliessen, noch ein Ticket für eine der kommenden Vorstellungen zu erwerben, werden Sie möglicherweise feststellen, dass das schwimmende Theater restlos ausverkauft ist. Macht aber nichts – Sie waren dabei, irgendwie.
  2. Folgen Sie den unzähligen Düften, die Ihnen da vom Sechseläutenplatz entgegenwehen. Bis sie sich entschieden haben, welchem Drängen Ihres Gaumens Sie nachgeben möchten, ist ein beträchtlicher Teil der Ihnen zur Verfügung stehenden Zeit bereits verstrichen. Der Rest geht fürs Anstehen drauf. Aber immerhin werden Sie dann, ebenso glücklich wie jene, die da im Märli-Tram fuhren, mit einem Imbiss Ihrer Wahl den Schilderungen Ihrer Sprösslinge lauschen.
  3. Suchen Sie sich – je nach Musikgeschmack – einen der unten aufgeführten Songs aus und hören Sie ihn in Dauerschleife, bis Sie von einer Welle von Sentimentalität und Liebe für unsere Stadt durchflutet werden.
    Züri isch 
    Mis Dach isch dä Himmel vo Züri
    (hier noch das Original, für alle, die’s gerne etwas nostalgischer hätten)
    Zurück nach Zürich

  4. Setzen Sie sich am Bellevue auf eine der dort angebrachten Holzbänke, und zwar so, dass Sie neben einem Menschen zu sitzen kommen, der dort den überwiegenden Teil seines Tages zu verbringen scheint. Verwickeln Sie ihn oder sie, wenn immer möglich, in ein Gespräch, und hören Sie zu. Sie schenken einem völlig Unbekannten etwas vom Wertvollsten, das Sie besitzen: Ihre Zeit. Im Falle des Scheiterns haben Sie es immerhin versucht.
  5. Begeben Sie sich zur Bäckerei John Baker beim Stadelhofen und studieren Sie eingehend die verheissungsvollen Süssigkeiten in der Auslage. Sie werden spüren, wie rasch sich der oberste Teil Ihres Verdauungstrakts auf das bevorstehende Vergnügen vorbereitet. Dann erinnern Sie sich an all die Köstlichkeiten, die Sie noch erwarten: Die alljährlichen Pralinen Ihrer Schwiegermutter, die von Ihnen und Ihren Kindern selbst gebackenen Guetzli, das Weihnachtsessen mit den Arbeitskollegen, etcetera, etcetera. Ausserdem denken Sie an die anschliessenden Ehrenrunden im Fitnesscenter Ihrer Wahl, und drehen um. Mit noch mehr Vorfreude auf die kommende Zeit und einer guten Portion Stolz über Ihre Disziplin. Und falls Sie doch zugreifen – auch egal.
  6. Nochmals zurück zum Weihnachtsmarkt. Alljährlich findet sich dort ein grosser Anbieter von Weihnachtskugeln aller Art. Da die Auswahl wirklich gross und ausgefallen ist, müssen Sie sich rasch entscheiden. Greifen Sie sich diejenige, auf welcher Ihr Blick hängen bleibt, und pfeifen Sie darauf, ob das Schmuckstück zu Ihrer übrigen Weihnachtsdeko passt. Das ist Ihr Moment. Ihre Kugel. Ihre Vorweihnachtsfreude.
  7. Schnappen Sie Ihr Handy und begeben Sie sich auf Fotosafari! Egal, ob es das Opernhaus, der Blick von der Quaibrücke, der Schwan unten auf dem See oder die zahlreichen schönen blau-weissen Fahrzeuge sind: Auf der Suche nach den tollsten Sujets werden Sie die Welt mit anderen Augen sehen.
  8. Tigern Sie in ein Parfümerie-Geschäft und/oder eine -Abteilung Ihrer Wahl, und verlassen Sie die Stätte des Dufts erst dann wieder, wenn Sie garantiert nicht mehr wissen, was Sie alles probiert haben, und erst recht nicht, wo. Nehmen Sie wahr, wie sich die Fülle der olfaktorischen Ingredienzen zu einem noch nie dagewesenen Gesamtbouquet steigert, und unternehmen Sie anschliessend einen zügigen Marsch an der frischen Luft. Die Spuren Ihres Tuns werden Sie dabei zwar nicht los, aber Bewegung tut gut.
  9. Lesen Sie die Liebeserklärung Bellevue, mon Amour auf vbzonline.ch.
  10. Lustwandeln Sie der Limmat entlang. Einen gebührenden Zwischenstopp beim Steg des Pier 7 nicht vergessen! Lassen Sie Ihre Erinnerungen an den Sommer Revue passieren, und wenn Sie mögen, ziehen Sie weiter Richtung Rathaus. Sollten Sie auf Ihrem Spaziergang nicht mehr zu bremsen sein, und die Zeit wird allmählich knapp, keine Panik. Es fährt ja alle paar Minuten ein Tram zurück.

Selbstverständlich gelten all diese Vorschläge auch, wenn Sie keinen Nachwuchs haben, der gerade anderweitig beschäftigt ist. Sondern dann, wenn ihr Zug zu früh ankam, Ihre Begleitung chronisch zu spät kommt oder wenn Sie einfach Lust hatten, mal zwanzig Minuten an diesem Platz die im Namen enthaltene schöne Aussicht zu entdecken.

Artikel teilen:

Wir verwenden Cookies, um Ihnen den bestmöglichen Service zu gewährleisten. Durch die weitere Nutzung der Website stimmen Sie unserer Datenschutzerklärung zu.
Mehr erfahren